Russland:Putins Waffen von gestern

Russland: Die letzten Tage eines Weltreichs: Über dem Kreml in Moskau weht die Flagge der Sowjetunion, es ist der 21. Dezember 1991. Wenige Tage später war das kommunistische Imperium Geschichte.

Die letzten Tage eines Weltreichs: Über dem Kreml in Moskau weht die Flagge der Sowjetunion, es ist der 21. Dezember 1991. Wenige Tage später war das kommunistische Imperium Geschichte.

(Foto: Gene Berman/AP)

Mit Säbelrasseln versucht Russland seine selbstbewusst gewordene Nachbarschaft wieder einzufangen. Doch mit Einschüchterung lässt sich ein zerbrochenes Imperium nicht kitten.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Wie mächtig ein flatterndes Symbol doch wirkt. Unten an der Kremlmauer schippten Arbeiter gerade den Schnee beiseite, als sich auf dem Dach des Senatspalastes epochale Geschichte vollzog. Nach sieben Jahrzehnten holten Kreml-Mitarbeiter die rote Flagge der Sowjetunion ein, über dem Zentrum der Macht straffte sich nun die russische Trikolore. Ein Weltreich war abgewickelt, ein neuer Staat entstanden. Moskau, 25. Dezember 1991, man vergisst das manchmal: Auch Russland hat vor 30 Jahren die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gewollt. So viel Freiheitsliebe wünschten sich viele Staaten jetzt wieder von Moskau. Stattdessen versucht Russland gerade, seine selbstbewusst gewordene Nachbarschaft wieder einzufangen.

Ob russische Panzer nun wirklich im frostigen Winter die ukrainischen Grenzen durchbrechen werden? Das ist schon aufgrund des sehr hohen Preises, den der Westen Russland in Aussicht gestellt hat, nicht sehr wahrscheinlich. Aber es reicht, sie so nah an der Staatengrenze zu platzieren, um bei den Ukrainern ein Gefühl von verletzbarer Freiheit zu erzeugen. Präsident Wladimir Putin hat ja gewarnt: Die Ukraine dürfe ihr Sicherheitsbündnis nicht frei wählen, und Georgien auch nicht. Im Grunde: niemand in der gesamten ehemaligen Sowjetunion. Es sei denn, es ist ein Bündnis, das Russland prägt.

Russlands verstärkter Einfluss auf die unabhängig gewordenen einstigen Sowjetrepubliken ist augenfällig: Die Ukraine und Georgien wurden von der Nato trotz der vor langer Zeit gemachten Beitrittsaussichten hingehalten und immer wieder enttäuscht. Belarus hat sich durch seinen Diktator Alexander Lukaschenko inzwischen Moskau völlig ausgeliefert; und in dem vom Krieg heimgesuchten Bergkarabach übernehmen russische Truppen die Rolle einer Friedensmacht. Sogar vom Siegeszug der Taliban in Afghanistan hat Russland indirekt profitiert, denn es stärkt nun in der zentralasiatischen Nachbarschaft seine militärische Präsenz - zur Sicherheit.

Die Russen misstrauen ihrem Staat immer mehr

All dies ist nicht der Weg zurück zur Sowjetunion, aber zurück zur Dominanz der Moskauer Macht: 14 formell unabhängige Staaten definieren inzwischen ihr Sicherheits- und Unsicherheitsempfinden vor allem durch ihr Verhältnis zu Russland. Allein das unterstreicht seine strategische Bedeutung - was aber will Moskau mehr?

Die Wiederbelebung von Einflusszonen, das Aufstellen von Verbotsschildern hat auch, aber nicht nur mit russischem Großmachtverständnis und Selbstbewusstsein zu tun. Dass dies gerade jetzt geschieht, ist auch eine Reaktion auf innere und äußere Schwächen. Innenpolitisch, weil die Rückbesinnung auf sowjetische Mythen geradezu klassisch ablenkt von wirtschaftlicher Reformschwäche und wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung: über Missstände im Gesundheitswesen etwa oder in der Bildung. Der Argwohn der Gesellschaft gegen den eigenen Staat ist vehement und hat gerade für die Impfkampagne leidvolle Auswirkungen.

Viel Geld wird in die Rüstung gesteckt, was einhergeht mit dem Bedürfnis, lieber das Feindbild des Westens zu vergrößern, statt die Wirtschaft zu modernisieren, die von Energieexporten abhängig ist wie eh und je. Umso dringlicher will Russland wenigstens jene Märkte erhalten, mit denen es traditionsreich eng verbunden ist: den Staaten der früheren Sowjetunion. Die aber haben sich längst auch woanders umgesehen, etwa die Ukraine, Georgien, die Republik Moldau in der Europäischen Union, in der die Baltenländer ohnehin Mitglied sind.

Putins Chuzpe

Aber auch die Staaten Zentralasiens gehen eigene Wege. Die Türkei und noch weit mehr die Großmacht China sind in der Region Russlands Partner und Konkurrenten zugleich. Sie alle mischen mit in Moskaus angeblichem Hinterhof. Die Turkstaaten, mit der Türkei verbunden über die Sprache und die Religion des Islam, drängen die russische Sprache und Kultur zurück. Wirtschaftlich schlägt wiederum China tiefe Wurzeln.

All dies hat in mehr als einem Dutzend exsowjetischer Staaten neue Identitäten, Begierden und Interessen geschaffen, die denen Russlands zum Teil deutlich widerstreben. Georgien und die Ukraine haben sich von Russland emanzipiert, die Republik Moldau hat zudem vor Jahresfrist eine Präsidentin gewählt, die den Abzug russischer Truppen aus Transnistrien verlangt. Moskaus Führung sieht seit Längerem also ihren Rückhalt schwinden, zu Hause regiert sie zunehmend mit Repressionen, in der Nachbarschaft verstärkt sie den Druck. Auch deshalb fordert Präsident Wladimir Putin ausgerechnet jetzt so vehement von den USA Sicherheitsgarantien.

Über die Köpfe unabhängiger Staaten hinweg will es nun mit der Supermacht USA auf Augenhöhe verhandeln. Das ist Chuzpe. Die Unabhängigkeit gilt seit 30 Jahren nicht nur für das neue Russland, sie muss das Recht aller sein. Mit Einschüchterung und Druck lässt sich das zerbrochene Imperium ohnehin nicht kitten. Eine weltpolitische Katastrophe sei das Ende der Sowjetunion gewesen, so sieht es Putin - aber in 14 anderen Staaten zwischen Ostsee und Zentralasien sehen viele Menschen es ganz anders: als Befreiung.

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