Russland:Die Wahl, die keine Wahl sein darf

Russland: Die Duma in Moskau

Vom 17. bis 19. September werden die Stimmzettel ausgefüllt - in die Duma sollen möglichst nur kremltreue Abgeordnete hinein.

(Foto: Alexander Nemenov, afp)

Ende kommender Woche sollen Russlands Bürger ihre Stimmzettel fürs neue Parlament ausfüllen. Seit Monaten baut Staatschef Putin vor, dass sie keinen Ärger machen.

Kommentar von Silke Bigalke, Moskau

Kommende Woche sind Parlamentswahlen in Russland, vom 17. bis zum 19. September. Schon dieser Satz klingt falsch, denn eine Wahl, die die Bezeichnung verdient, hatten die Russen schon lange nicht mehr. Welche Partei die Mehrheit in der Staatsduma gewinnen wird, steht auch diesmal außer Frage. Genauso wichtig wie das Wahlergebnis ist dem Kreml deswegen längst etwas anderes: dass die Menschen es achselzuckend hinnehmen. Keinesfalls sollen sie, wie in Belarus, massenhaft auf die Straße gehen, weil sie sich um ihre Stimme betrogen fühlen. Wo alternde Autokraten Wahlen immer stärker manipulieren müssen, steigt ja normalerweise die Protestgefahr.

Also sorgt man vor. Die Repressionswelle der vergangenen Monate war insofern eine Vorbereitung der Wahl - und zugleich ging es dabei um die Tage und Wochen danach. Sie hilft den Behörden, zwei Ziele zu erreichen: Erstens erhält die unbeliebte Kremlpartei "Einiges Russland" dadurch bequem eine Mehrheit; in Umfragen hat sie es schon lange nicht mehr über 30 Prozent geschafft. Zweitens verhindert sie, dass Empörung darüber laut wird.

Bereits vor Monaten haben die Behörden begonnen, Oppositionelle vor Gericht zu zerren, Kritiker aus dem Land zu vertreiben, Medien zu knebeln. Diese Repressionen in Serie zermürben und entmutigen den kritischen Teil der Gesellschaft. Die Behörden vermeiden es auf diese Weise zudem, unabhängige Kandidaten erst kurz vor der Wahl reihenweise ausschließen zu müssen- genau das hatte früher zu Demonstrationen geführt. Jetzt geben sie den Menschen nicht den einen großen Anlass zum Protest; sie geben ihnen jede Woche viele kleinere Gründe zum Verzweifeln.

Das Arsenal: Wahlrecht ändern, Gesetze umschreiben, Organisationen verbieten

Der Kreml sichert sich immer in alle Richtungen ab. Seit Jahren schreibt er Gesetze so um oder neu, dass er sie willkürlich gegen alle Andersdenkenden einsetzen kann. Er verändert das Wahlrecht, verbietet kritische Organisationen, schränkt die Meinungsfreiheit ein. Es ist, als habe er vor langer Zeit eine Schlinge um die russische Zivilgesellschaft gelegt, die er nun nach und nach zuzieht. Natürlich geht es dabei nicht nur um eine Dumawahl, es geht um den Übergang zu einer ausgewachsenen, offen repressiven Autokratie. Putin fühlt sich an keine Regeln von Rechtsstaatlichkeit mehr gebunden. In seinem Russland können Polizeistationen gleich zu Gerichten umfunktioniert werden, so war es im Fall von Alexej Nawalny nach dessen Rückkehr nach Moskau.

Wahlen haben nur einen Zweck. Sie sollen den Menschen zeigen oder notfalls vorgaukeln, dass sie es waren, die sich diese Regierung gewünscht haben. Deswegen stehen Kandidaten verschiedener Parteien auf den Wahlzetteln, sie erzeugen ein Gefühl von Auswahl. In die Duma schaffen es aber fast nur solche Kandidaten, die der Kreml kontrollieren kann, die zu seinem Machtsystem gehören. Selbst wenn seine Partei "Einiges Russland" ein Wahlziel verpasst, muss sie sich um eine faktische Zweidrittelmehrheit kaum Sorgen machen.

Trotzdem kann man das Regime bei der Abgabe des Stimmzettels treffen - Alexej Nawalny hat sich eine Taktik dafür überlegt. Unzufriedene Wähler können sich online für sein "kluges Abstimmen" anmelden. Dabei rechnet sein Team ihnen vor, welcher Kandidat in ihrem Wahlkreis jeweils die höchsten Chancen gegen denjenigen der Kremlpartei hat. Selbst wenn es jeweils nur Kandidaten der Scheinopposition sind, die auf diese Weise Sitze im Parlament gewinnen, ist dies doch ein Schlag gegen Putin. Jede Stimme gegen seine Partei soll als Stimme gegen sein System verstanden werden.

Ein Gütezeichen inzwischen: das Etikett "Ausländischer Agent"

Der Präsident hat seinen schlagkräftigsten Gegner nicht nur einsperren, er hat dessen gesamtes Netzwerk als "extremistisch" erklären und zerschlagen lassen. Jeder, der Nawalny unterstützte, kann nun haftbar gemacht werden. Womöglich ist es schon riskant, sich online für dessen Wahlempfehlung anzumelden. Niemand darf heute mehr Politik in Russland machen, der nicht irgendwie zu Putins System gehört. Und jeder, der nicht auf seiner Seite steht, wird früher oder später als Gegner wahrgenommen.

In diese Kategorie fällt inzwischen auch die freie Presse. Reihenweise werden unabhängige Medien zu "ausländischen Agenten" erklärt. Das Etikett ist zur Diskreditierung gedacht, aber inzwischen sind so viele prominente Journalisten damit belegt worden, dass es eine Art Gütezeichen für guten Journalismus geworden ist - wobei dies allerdings nichts daran ändert, dass den betroffenen Redaktionen damit ihre Lebensgrundlage genommen wird: Es schreckt Werbekunden in Scharen ab.

Bei so viel Vorbereitung käme aus Sicht des Kreml nur ein überwältigender Sieg keiner Niederlage gleich. Man mag sich gar nicht ausmalen, welche weiteren Repressionen eine Enttäuschung bei Putin auslösen würde. Die Dumawahl ist für ihn nur eine Etappe, wenngleich eine wichtige. Die bedeutendere Wahl ist die des Präsidenten, in drei Jahren. Er legt gerade die Grundlage dafür.

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