Was sich im Distanz-Schlagabtausch zwischen Ost und West und konkret zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem US-Kollegen Tony Blinken abspielt, gibt Anlass zu höchster Sorge. Russland sucht rhetorisch die Offensive und wirft dem Westen vor, er verhalte sich aggressiv. Gleichzeitig wird die Forderung nach einer Art Abstandsgarantie oder Nichteinmischungsklausel erhoben.
Eine solche Garantie kann es nie geben. Sie käme einer Aufteilung Europas in Einflusszonen gleich, der Kontinent fiele quasi in den Kalten Krieg zurück. Alle Staaten in der russischen Peripherie verlören das Recht, souverän über ihre politischen Allianzen zu entscheiden. Dabei ist die Ukraine nicht weniger frei, als es die Staaten des Baltikums sind. Sie suchen sich ihre Bündnispartner selbst aus und folgen keinem Diktat des Kreml. Unterstellung Nummer zwei - der Westen dringe auf Russland vor - ist ebenso wenig von der Realität gedeckt. Die Staaten Mitteleuropas wurden aus eigenem, souveränem Wunsch heraus Mitglied der Nato oder gar der EU. Niemand hat sie dazu gezwungen. Hätte es andere, demokratische Mehrheiten gegeben, die Staaten wären den Bündnissen ferngeblieben.
Dennoch wird man diese beiden Argumente nun immer und immer wieder hören: Russland sei, auch durch die Nato-Erweiterung, Opfer westlicher Aggression, und zur Entspannung brauche es einen Puffer. Diese Forderung erhebt dasselbe Russland, das durch eine neue Mittelstreckenbewaffnung, durch massive Truppenverlegungen und Cyberangriffe bis weit ins westliche Bündnis hinein Spannungen schürt.
Präsident Wladimir Putin möchte das Rad der Geschichte zurückdrehen. Dazu bedient er den Mythos, dass es nach Ende des Kalten Krieges eine Stillhaltezusage der Nato gegeben habe. Das ist historisch widerlegt - aber was schert das den Herrscher im Kreml, der schon lange in seiner eigenen Geschichte lebt. Nun schafft er die gedanklichen Voraussetzungen für die nächste Aggression.