Profil:Pinchas Goldschmidt

Profil: "Im Exil von der Gemeinde": Pinchas Goldschmidt, Oberrabbiner in Russland (Foto von 2012).

"Im Exil von der Gemeinde": Pinchas Goldschmidt, Oberrabbiner in Russland (Foto von 2012).

(Foto: Tobias Schwarz/REUTERS)

Oberrabbiner und Kriegsgegner in Moskau, nun im unfreiwilligen Exil.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Fern der Heimat und weit weg von seiner Gemeinde ist er nun. Pinchas Goldschmidt hält sich dieser Tage in Jerusalem auf. Er wolle sich dort um seinen erkrankten Vater kümmern, hatte es zunächst geheißen. Doch den wahren Grund hat nun Goldschmidts Schwiegertochter via Twitter enthüllt: Der Moskauer Oberrabbiner ist im israelischen Exil, er hat Russland verlassen wegen des Ukraine-Kriegs.

Goldschmidt selbst schweigt zu dem ganzen Vorgang. Interview-Anfragen lehnt er ab, weil er offenbar nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen und obendrein seine Gemeinde schützen will. Doch in der knappen Botschaft, die seine in New York lebende Schwiegertochter nun abgesetzt hat, wird vom "Druck der russischen Behörden" berichtet, die sogenannte Spezialoperation in der Ukraine öffentlich zu unterstützen - und dass Goldschmidt und seine Frau Dara dies abgelehnt hätten. "Sie sind nun im Exil von der Gemeinde, die sie geliebt und aufgebaut haben und in der sie ihre Kinder großgezogen haben in den vergangenen 33 Jahren", schreibt Avital Chizhik-Goldschmidt.

Goldschmidt stammt eigentlich aus der Schweiz, vor fast 59 Jahren wurde er in Zürich geboren. Der Vater war dort als Unternehmer tätig, doch die Familie hat Wurzeln und Zweige in der ganzen Welt. In jungen Jahren studierte Pinchas Goldschmidt an Religionsschulen und Universitäten in Israel und in den USA. Als Rabbiner trat er seine erste Stelle im Norden Israels an, in Nazareth-Illit.

Sein Auftrag: jüdisches Leben wieder zu erwecken

Von dort aus ging er 1989, noch vor der Auflösung der Sowjetunion, nach Moskau. Sein Auftrag: Er sollte helfen, das jüdische Leben im Land wieder zu erwecken. Schulen, Kindergärten und Suppenküchen hat er aufgebaut, Dachorganisationen geschaffen. Kurzum, mit ganzer Kraft hat er ein jüdisches Gemeindeleben aufgebaut, während sich die Gemeinde selbst zunehmend verflüchtigte. Nach dem Fall der Sowjetunion kam die große Auswanderungswelle, eine Million Juden emigrierten allein nach Israel. Die jüdische Gemeinde in Russland wird heute auf noch 150 000 Menschen geschätzt. Doch Goldschmidt zufolge sitzen nun wegen des Ukraine-Kriegs auch viele dieser Menschen auf gepackten Koffern.

Goldschmidt galt nie als Putin-nah, im Gegensatz zu anderen religiösen, auch jüdischen Würdenträgern, die sich vom Kreml protegieren ließen. 2005 kam es einmal kurz zum Eklat, weil ihm die Wiedereinreise nach Russland verweigert wurde. Eine offizielle Erklärung dafür gab es nicht, geraunt wurde von "nationalen Sicherheitsinteressen". Nach einigen Wochen und viel Fürsprache aus dem Ausland wurde der Bann schließlich wieder aufgehoben.

Von Moskau aus avancierte Goldschmidt zu einer wichtigen Stimme des europäischen Judentums. Auf vielen Foren und Kanälen warnt er vor wachsendem Antisemitismus und dem Erstarken der Rechten. Er traf den Papst und sprach in Davos beim Weltwirtschaftsforum. Seit 2011 amtiert er auch als Vorsitzender der orthodoxen Europäischen Rabbinerkonferenz (CER).

Der Krieg - "eine Katastrophe für uns alle"

Vorige Woche erst trat er bei der Generalversammlung der CER in München auf. Natürlich war dort auch der Krieg ein Thema, den Goldschmidt als "Katastrophe für uns alle" bezeichnete. "In erster Linie sind wir Rabbiner, keine Politiker oder Generäle", räumte er ein. Doch angesichts des Bombardements in der Ukraine müsse Europa nun "für die Freiheit kämpfen".

Von einem Exil in Israel war dort noch nicht die Rede, und ganz gewiss hofft er weiter auf eine Rückkehr nach Russland. In seiner Moskauer Gemeinde jedenfalls bleibt die Türe offen. Am Dienstag ist er für sieben Jahre als Oberrabbiner wiedergewählt worden - obwohl es laut Jerusalem Post erheblichen Druck gab, dies zu verhindern. "Der Staatsstreich wurde abgewehrt", zitiert die Zeitung eine Moskauer Quelle. Betreuen aber kann Pinchas Goldschmidt seine Gemeinde fürs Erste nur noch aus der Ferne.

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