Rock und Jazz:Charlie Watts, ein Handwerker

Charlie Watts

Charlie Watts 1973 in London.

(Foto: Getty Images)

Schlagzeuger wie jener der Rolling Stones waren früher zunächst Dienstleister, dann Virtuosen. Und dann kam der Computer.

Kommentar von Andrian Kreye

Als der am Dienstag verstorbene Charlie Watts in den frühen Sechzigern begann, bei den Rolling Stones Blues und Rock zu spielen, hatten sich die Schlagzeuger des Jazz schon die Rolle als Virtuosen erkämpft. Im frühen Rock waren sie noch Dienstleister. Sie gaben den Rhythmus vor. Wichtig, aber nie so glamourös wie vorne am Bühnenrand zu stehen. Technisch war Watts ein Modern-Jazz-Drummer. Er blieb sich da treu, ließ sich weder auf die Materialschlachten noch auf Trommelgewitter ein, die die Rockmusik später prägen sollten. Mit seinem spartanischen Aufbau war er das Bindeglied zwischen den Frühzeiten des Schlagzeugs in Amerika und der Gegenwart, in der Drummer nur noch im Jazz und Rock zu finden sind.

Angefangen hatte es im späten 18. Jahrhundert. Vor allem im amerikanischen Süden suchten sich die verschleppten Afrikaner aus dem Sperrmüll alles zusammen, auf dem man Musik spielen konnte. Kisten und Waschbretter, Flöten und ausrangierte Banjos. Mit dem Ende des Bürgerkriegs 1865 begann der eigentliche Aufbruch der afroamerikanischen Musik. Da gab es viel Überschuss aus den Militärkapellen, Trompeten, Posaunen, Saxofone und Schlagwerk aller Art. Mehr als 53 000 Musiker standen im Sold der beiden Armeen. Alleine die Nordstaaten hatten 32 000 Trommeln angeschafft.

Mit dem Blues und dem Jazz bekam das Schlagzeug eine neue Rolle, die viel komplexer war als das, was die Schlagwerker der Theater- und Tanzboden-Ensembles spielten. In den Vierzigerjahren besannen sich die Drummer des frühen Modern Jazz wie Max Roach, Art Blakey oder Philly Joe Jones auf die afrikanischen Trommelrituale, in denen Drums die Rolle des Erzählers spielen, die Rhythmus und Melodie verbinden.

In den Achtzigern gehörten Schlagzeuger zu den ersten Opfern der Digitalisierung

Die Rockmusik hinkte lange hinterher. Auch weil sie eine basisdemokratische Bewegung war, die Haltung und Ausdruck viel stärker gewichtete als musikalisches Handwerk. Es gibt die Anekdote vom Schlagzeuger Keith Moon, der bei The Who schon Rockstar war. Philly Joe Jones lebte damals in England. Moon wollte Unterricht. Jones hörte sich an, was Moon konnte. Was er so verdiene, fragte er. Und schickte ihn mit dem Satz "Das will ich dir lieber nicht versauen" nach Hause.

Ein paar Minderwertigkeitskomplexe blieben den Rockschlagzeugern immer. Viele kompensierten das mit Gebirgen aus Trommeln und Becken. Andere mit Aggressivität. Lange währte das Glück sowieso nicht. In den Achtzigern gehörten Schlagzeuger zu den ersten Opfern der Digitalisierung.

Der Musikproduzent Axel Kroell erinnert sich. Als er 1984 als ausgebildeter Schlagzeuger nach New York ging, registrierte die Musikergewerkschaft dort jeden Monat rund 15 000 registrierte Jobs für Drummer. Dazu kam ein Vielfaches an freien Gigs. Ein Jahr später schon ging die Zahl rapide zurück. Die Pioniere des Hip-Hop und House wie Afrika Bambaataa und Juan Atkins, aber auch Stars wie Prince und Madonna etablierten den Drumcomputer als neuen Status quo der Popmusik. Kroell wechselte mit seinem europäischen Musikstudium in die Produktion, arbeitete mit Quincy Jones und Wet Wet Wet. Als er 1994 nach Europa zurückging, verzeichnete die Gewerkschaft nur noch 180 Drummerjobs pro Monat.

Fast 30 Jahre später klingt Musik mit echtem Schlagzeug für ganze Generationen automatisch altmodisch. Rock und Jazz pflegen das noch, mit großer Leidenschaft. Eine Band wie die Rolling Stones würde mit Computer nicht funktionieren.

Zur SZ-Startseite
Between The Buttons, Stones

SZ PlusNachruf auf Charlie Watts
:Ohne ihn gibt es die "Rolling Stones" nicht mehr

Schlagzeuger müssen einfach nur mithalten, behaupten einige. Charlie Watts ist der Gegenbeweis: Er war das Herzstück der "Rolling Stones" - und ihr unwahrscheinliches Kraftzentrum. Über einen, dessen Leidenschaft ganz der Kunst galt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: