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Profil: Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, aufgenommen im Bundestag bei einem Interview mit der dpa Deutsche-Presse Agentur.

Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, aufgenommen im Bundestag bei einem Interview mit der dpa Deutsche-Presse Agentur.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stellt klar: Seinen Job wird er nicht aufgeben. Warum er aber dennoch immer wieder mit sich ringt.

Von Mike Szymanski

Der Krieg in der Ukraine, das Eingeständnis, sich so kolossal in Russland getäuscht zu haben - die vergangenen Monate haben der SPD stark zugesetzt. Und besonders stark leidet Fraktionschef Rolf Mützenich.

Der 63-jährige Politiker aus Köln sieht schlecht aus. Er ist noch schmaler geworden, als er es ohnehin schon war. Als Kanzler Olaf Scholz im Februar im Bundestag die Zeitenwende ausrief, hatte Mützenich erst kurz vor der Sitzung davon erfahren, dass sein Parteikollege unter anderem 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren will. Mützenich hatte sich in seinem politischen Leben immer für Abrüstung eingesetzt.

Als Mützenich nach Scholz ans Pult trat, ließ er tief in seine Seele blicken: "Junge und nachfolgende Generationen werden uns dafür verurteilen, dass wir Älteren es nicht vermocht haben, eine bessere Welt zu schaffen", und er prophezeite: "Solange wir können, müssen wir diese Schuld abtragen."

In den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigte die Fraktionskollegen deshalb die Frage, ob Mützenich womöglich an dieser Schuld zerbricht - und ob er den Fraktionsvorsitz vorzeitig abgibt. Aber das hat der Vorsitzende nicht vor. "Ich bin überhaupt nicht amtsmüde", sagte er jetzt der Deutschen Presse-Agentur. Die Menschen in Deutschland hätten zudem andere Sorgen, als mit Personaldebatten belästigt zu werden. Solange er den Eindruck habe, sein Beitrag sei hilfreich, so lange wolle er seine Rolle ausfüllen. Für einen Politiker wie Mützenich, der sonst immer zurückhaltend auftritt, sind das ziemlich klare Worte - auch an potenzielle Nachfolger.

Im Moment besteht Mützenichs Beitrag darin, seinen Fraktionskollegen bei der Verarbeitung der Zeitenwende zu helfen. Wer sollte glaubwürdiger Orientierung in diesen Zeiten geben als einer, der selbst mit sich ringt? "Wir alle sind durch diesen russischen Angriffskrieg zu Entscheidungen gezwungen worden, die niemandem leichtgefallen sind", gab er seinen Fraktionskollegen in einem Brief mit auf den Weg in die Ferien. Auch Mützenich muss heute eine Politik vertreten, an die er nie geglaubt hatte.

Seit 2002 sitzt Mützenich im Bundestag. Er hatte sich über all die Jahre nicht großartig verändern müssen. Aber mit Russlands Angriffskrieg hat sich die Welt um ihn herum grundlegend verändert. Was er gerade durchmacht, machen auch andere in der Fraktion durch. Der linke Flügel findet sich besonders in der Person Mützenich wieder. Der Fraktionschef hat für das Bundeswehr-Sondervermögen geworben - und am Ende stimmten nur neun SPD-Parlamentarier dagegen. Andererseits widerspricht er, wenn Parteichef Lars Klingbeil nun gleich in Deutschland eine "Führungsmacht" sieht und militärische Stärke beschwört. Das geht Mützenich zu weit.

Im Moment kann sich Kanzler Scholz darauf verlassen, dass Mützenich die Fraktion zusammenhält. Und der Fraktionschef ist gewillt, Scholz' Kanzlerschaft vor Schaden zu bewahren. Die nächsten Monaten werden herausfordernd. Steigende Lebenshaltungskosten drohen die Gesellschaft zu zerreißen.

In schwierigen Zeiten war auf Mützenich Verlass. Er hatte den Fraktionsvorsitz im Juni 2019 als dienstältester Stellvertreter zunächst kommissarisch übernommen, als die damalige Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles zurücktrat. Zuvor hatte es eine denkwürdige Fraktionssitzung gegeben, in der sich die Fraktion im Streit mit Nahles regelrecht zerfleischt hatte. Mützenich stand für einen neuen Umgang, er versöhnte.

Nach der Bundestagswahl wurde er als Kandidat für das Amt des Bundestagspräsidenten gehandelt; auch ein Wechsel in die Regierung erschien möglich. Aber daraus wurde nichts, auch weil die SPD und Kanzler Scholz Frauen auf einflussreiche Posten setzen wollten. Mützenich blieb, was er war und was er nun vorerst weiter bleiben will: Fraktionschef. Bis Herbst 2023 ist er gewählt.

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