Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise in Asien:Geflohen, eingesperrt, vergessen

Fünf Jahre nach der Flucht aus Myanmar sind nahezu eine Million Rohingya in einer aussichtslosen Lage. Warum es so schwer ist, für sie einen Ausweg und eine Zukunft zu finden.

Kommentar von Arne Perras

Um zu ermessen, wie es um das geschundene Volk der Rohingya steht, kann man sich folgendes Szenario vor Augen führen: Nehmen Sie an, Sie haben Schlimmes durchgemacht, sind Zeuge eines schweren Verbrechens geworden und müssen fürchten, dass es die Täter auch auf Sie abgesehen haben. Sie laufen in Todesangst davon. Doch der einzige Ort, der Ihnen Schutz bietet, ist ein Gefängnis. Die Aufpasser winken Sie hilfsbereit herein und sperren hinter Ihnen zu, damit Ihnen nichts mehr passieren kann.

Okay, sagen Sie sich in diesem Moment, was habe ich für eine Wahl? Die Jahre vergehen, und Sie sitzen in der Zelle; die Täter laufen frei herum, niemand nimmt sie fest, und alle scheinen Sie vergessen zu haben. Außer der täglichen Essensration und einer Flasche Wasser, die man Ihnen durch das Guckloch schiebt, kümmert sich keiner mehr darum, wie Sie je wieder aus der Falle kommen.

Nichts hat sich in der Region zum Besseren gewendet

Eine kafkaeske Vorstellung? Mit Sicherheit. Aber leider ist sie gar nicht so weit entfernt von jenen Verhältnissen, denen fast eine Million Rohingya-Flüchtlinge in den Lagern von Bangladesch ausgesetzt sind. 2017 waren sie aus Myanmar ins Nachbarland geflohen, um einem Genozid durch die Armee zu entgehen. Der Exodus markierte - neben den Fluchtbewegungen aus Afghanistan - die schwerste Flüchtlingskrise Asiens seit den vietnamesischen Boat People.

Fünf Jahre danach fällt die Bilanz verheerend aus: Nichts, aber auch gar nichts hat sich in der Region zum Besseren gewendet. Das Meer aus ärmlichen Bambushütten und Plastikplanen wirkt wie ein riesiges Mahnmal der Straflosigkeit. Die Weltgemeinschaft zahlt, damit die Menschen nicht hungern oder an Infektionen sterben. Aber der schlimmste Schmerz sitzt im Kopf der Geflohenen: Wie komme ich hier wieder raus? Es ist diese erzwungene kollektive Aussichtslosigkeit, die wie mentale Folter auf die Betroffenen wirkt.

Kann die Weltgemeinschaft diesen Qualen weiter so passiv zusehen?

Heimkehr ist keine absehbare Option: Die Armee Myanmars konnte schwerste Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung begehen, ohne dafür zu büßen. Schlimmer noch: Die Generäle haben sich zurück an die Macht geputscht und morden weiter. Dabei verfolgen sie nicht nur die muslimische Minderheit, sondern alle Gruppen, die sich ihrer Gewaltherrschaft entgegenstemmen. Gleichzeitig führen die Verwerfungen zwischen Russland, China und dem Westen dazu, dass die Junta von außen nichts zu fürchten hat; es gibt keine gemeinsame Sanktionspolitik, die Generäle können ihren Staatsterror ungehindert fortsetzen.

Weil es überwiegend junge Menschen sind, die unter so unwürdigen Umständen in Lagern aufwachsen, muss die Weltgemeinschaft dringend das Gespräch mit dem Gastland Bangladesch suchen, welche Perspektiven man für die verlorene Generation schaffen kann. Weil Bangladesch ein dicht bevölkertes Land mit vielen eigenen Problemen ist, braucht es die Solidarität anderer, vor allem reicherer Staaten, die Hilfe leisten. Noch besser wäre es, wenn Länder kleinere Kontingente von Rohingya-Familien, die ausreisen wollen, aufnehmen könnten.

Vor allem aber müssen die Regierenden in Dhaka selbst darüber nachdenken, welcher Weg für alle eine bessere Zukunft verspricht: Flüchtlingen die Chance zu geben, zu lernen und sich zu integrieren - oder sie gnadenlos in Camps abzuschotten, die als Nährboden für Gewalt und Extremismus dienen.

Man muss das Ziel, dass die Rohingya heimkehren können, sicher nicht aus den Augen verlieren. Aber solange in Myanmar diese Junta herrscht, ist an einen solchen Anlauf nicht zu denken.

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