Süddeutsche Zeitung

Rentenpolitik:Mehr Rente, weniger Gerechtigkeit

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Die Altersbezüge von Senioren steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht. Weil die Regierung zulasten der Erwerbstätigen an der Berechnungsformel herumgefummelt hat. Und das ist nicht fair.

Kommentar von Henrike Roßbach

Nein, es ist noch nicht Weihnachten, für Rentnerinnen und Rentner aber geht es mit der Vorfreude dieses Jahr schon etwas früher los. Laut aktueller Schätzung könnten die Renten in Westdeutschland im kommenden Jahr um 5,2 Prozent steigen, im Osten sogar um 5,9 Prozent. Es wäre zumindest im Westen das kräftigste Rentenplus seit fast vier Jahrzehnten, und für 2023 werden gleich weitere 4,9 Prozent im Westen und 5,7 Prozent im Osten vorausgesagt.

Rentenerhöhungen sind Mathematik. Eine Formel legt fest, wie stark die Renten steigen, und Grundlage für die Anpassungen ist grob gesagt die Entwicklung der Löhne. Gegenüber dem Corona-Jahr 2020 sind die Gehälter im laufenden Jahre wieder gestiegen, auch weil weniger Menschen in Kurzarbeit sind. Deshalb bekommen im nächsten Jahr auch die Rentner mehr.

Eigentlich hätten die Renten heuer sinken müssen. Aber das verbietet das Gesetz

Diese aus Sicht der Senioren erfreuliche Entwicklung hat aber einen Schönheitsfehler, den die alte Koalition zu verantworten hat. Sie hat nämlich den sogenannten Nachholfaktor in der Rentenberechnung ausgesetzt, der die anstehenden Steigerungen gedämpft hätte.

Der Hintergrund: Eigentlich hätten die Altersbezüge dieses Jahr sinken müssen, weil im Vorjahr - Corona, Kurzarbeit, Krise - die Löhne gesunken sind. Sinkende Renten aber sind schon länger qua Gesetz ausgeschlossen. Schlimmer als eine Nullrunde, wie sie dieses Jahr die Senioren im Westen erlebt haben, kann es deshalb nie kommen, egal wie mies sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Qua Nachholfaktor werden solche ausgelassenen Rentenkürzungen aber normalerweise in den Folgejahren nachgeholt, sprich: verrechnet mit dem nächsten Rentenplus. Sozialminister Hubertus Heil aber hat an der Rentenformel herumgefummelt und diesen Mechanismus 2018 ausgesetzt.

Mit den Rentnern will es sich keine Partei verscherzen

Fair ist das nicht. Denn entweder die Renten entwickeln sich gemäß der Löhne, dann aber bitte in guten wie in schlechten Zeiten. Oder aber die Politik entscheidet sich für ein neues Konzept, dass etwa die Renten nur noch der Preisentwicklung folgen. So, wie es jetzt ist, tragen jedoch die Erwerbstätigen die Corona-Lasten auf dem Arbeitsmarkt in größerem Maße als die Rentner, die an der Erholung dann aber wieder uneingeschränkt teilhaben.

Mit den Rentnern will es sich keine Partei verscherzen, sie haben ein großes und wachsendes Gewicht in der Wählerschaft. Wer jedoch auf die Schieflage in Sachen Generationengerechtigkeit hinweist, dem haben die regierenden Sozialpolitiker der vergangenen Jahren stets bissig vorgeworfen, Alt gegen Jung auszuspielen und den Älteren nicht genügend Respekt entgegenzubringen für ihre Lebensleistung. In Wahrheit aber ist es genau andersherum. Eine Rentenpolitik, die demografischen Entwicklungen zu wenig entgegenzusetzen hat, verursacht genau die Spaltung, die sie zu heilen vorgibt.

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