Süddeutsche Zeitung

Rede an die Nation:Ein Dokument der begrenzten Möglichkeiten

Frank-Walter Steinmeier beschwört den Zusammenhalt in schwierigen Zeiten. Mehr Heroismus kann ein deutscher Bundespräsident auch nicht erreichen.

Kommentar von Johan Schloemann

Man kennt es aus Katastrophenfilmen: Das Schicksal der Nation steht auf dem Spiel, der Retter derselben wendet sich ans Volk. Verhalten erst spricht er, doch dann steigert er sich immer mehr, und am Ende haben alle Gänsehaut und Tränen in den Augen und rufen einträchtig: Ja, wir werden kämpfen!

Gemessen daran kann ein deutscher Bundespräsident rhetorisch nur verlieren. Denn er hat keine exekutive Macht, nicht einmal den Nimbus früherer Macht, den Monarchen genießen. Und er meint, wenn er jetzt die Opferbereitschaft der Deutschen einfordert, kein militärisches Heldentum. Für die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Aggressor, die Frank-Walter Steinmeier jetzt in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit guten Gründen gerechtfertigt hat, liefert Deutschland Waffen, Geld, zivile Hilfe, und bezahlt mit wirtschaftlichen Einbußen und gedrosselten Heizungen. Mehr Heroismus ist nicht möglich.

Gemessen an diesen Einschränkungen und an seiner soliden Ausstrahlung hat Steinmeier am Freitag eine eindringliche Rede gehalten. Unter dem Eindruck seiner Gespräche in einem Luftschutzkeller im Kriegsgebiet hat er trotz der gegenwärtigen "Zerreißprobe" Mut zum Zusammenhalt gemacht und auf der Kraft der Demokratie beharrt. Aber er hat auch keine eigenen Fehler in der Russland-Politik benannt, nur ein "Scheitern", und so getan, als sei Putins Angriff aus dem Nichts gekommen. So war diese Rede an die Nation ein würdiger Appell, aber leider auch ein Dokument mangelnder Selbstkritik und der begrenzten Möglichkeiten.

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