Süddeutsche Zeitung

Rechte Gewalt:Auf dem Silbertablett

Das Land Hessen gibt die geheime Adresse einer im "NSU 2.0"-Komplex bedrohten Anwältin preis.

Kommentar von Annette Ramelsberger

Man fragt sich manchmal, was eigentlich noch alles schiefgehen kann beim Umgang mit Opfern rechter Gewalt. Dass sie oft alleingelassen werden mit ihrer Angst - lange bekannt. Dass sie abgetan werden als überbesorgt oder hysterisch - deutscher Alltag. Aber dass der Staat den rechtsradikalen Verfolgern ihre Ziele quasi auf dem Silbertablett darbietet - das hat eine neue Qualität.

Es geht um die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, die seit drei Jahren von Rechtsradikalen bedroht wird. Sie kündigten ihr an, ihre kleine Tochter zu "schlachten" und sie zu töten. Bei den Ermittlungen wurde bekannt, dass Frankfurter Polizisten die Adresse der Anwältin widerrechtlich herausgegeben hatten. Die Bedrohte musste umziehen, ihr Kind in eine neue Kita gehen. Danach dachte man eigentlich, schlimmer könnte sich der hessische Sicherheitsapparat nicht mehr diskreditieren. Heute weiß man: Doch, er kann es.

Ein Hinweis auf die streng geheime neue Wohnadresse von Başay-Yıldız ist vom Vorsitzenden des hessischen Untersuchungsausschusses zum Mordfall Walter Lübcke an alle Mitglieder weitergeleitet worden - auch an die der AfD. Dazu auch noch die Adresse des Kindergartens, in den ihre Tochter geht. Damit haben ein paar Dutzend Menschen Zugang zu höchst vertraulichen Daten. Und gerade einzelne Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten in den Länderparlamenten sind in der Vergangenheit immer wieder durch Kontakte in die rechtsextremistische Szene aufgefallen.

Im Mai war in Berlin ein Mann festgenommen worden, der Başay-Yıldız und ihre Familie unter dem Namen NSU 2.0 bedroht hatte. Bereits damals fiel auf, dass die hessische Polizei geradezu triumphierend erklärte, der Verdächtige sei kein Hesse und auch kein Polizist. Es hörte sich an wie: Dann ist ja alles gut. Dass gleichzeitig noch Ermittlungsverfahren liefen gegen die Polizisten, die die Adresse herausgegeben hatten, war dann offenbar nicht mehr so relevant. Die Beamten waren mit übelsten rechtsradikalen Chats aufgefallen.

Die neuerliche Preisgabe geheimer Adressdaten als Panne zu bezeichnen, wäre untertrieben. Ganz offensichtlich nehmen die hessischen Verantwortlichen die weitere Bedrohung der Anwältin als Kollateralschaden in Kauf - nur um selbst als offen und transparent dazustehen. Ausgerechnet in diesem Fall redet sich die Landesregierung damit raus, dass sie dem Landtag auch kein Fitzelchen der Akten vorenthalten wollte, selbst die nicht, die gar nicht relevant sind. Denn die Anwältin Başay-Yıldız hatte mit den Ermittlungen zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke nichts zu tun. Es ist unklar, warum ihre Adresse in diesen Akten auftaucht.

Die gleiche Landesregierung, die so verschwenderisch mit vertraulichen Daten umgeht, hält die Akten des Verfassungsschutzes zur möglichen Verstrickung in die Morde des NSU weiterhin geheim. Zunächst waren sie für 120 Jahre gesperrt, nun, nach dem Lübcke-Mord, sollen sie noch immer für die nächsten 30 Jahre unter Verschluss gehalten werden - um schutzwürdige Interessen des Staates und seiner V-Leute nicht zu gefährden. Die schutzwürdigen Interessen unbescholtener Bürger aber zählen offensichtlich nicht.

Was der hessische Sicherheitsapparat mit der Frankfurter Anwältin macht, ist nicht mehr mit Unfähigkeit zu erklären. Man kann den Eindruck gewinnen, als nähme Hessen die Gefährdung von Başay-Yıldız und ihrer Familie geradezu in Kauf. Das ist mehr als grob fahrlässig. Es ist ein offenkundiges Versagen, und man kann nur hoffen, dass es keine bösen Folgen haben wird.

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