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Metapher, die nun auch Frank-Walter Steinmeier benutzt hat - und die ihm sogleich im Mund umgedreht wurde.

Von Jan Bielicki

Ratten zu fangen, war bis in die frühe Neuzeit ein zwar nicht sehr angesehener, aber notwendiger Beruf. Doch es ging Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht um Fragen der Berufsehre, als er nun dazu aufrief, sich das Land nicht "von extremistischen Rattenfängern" kaputtmachen zu lassen. Er beschimpfte damit auch nicht AfD-Wähler als Ratten, wie ein Shitstorm in den digitalen Netzwerken es ihm sofort unterstellte. Der berühmteste aller Rattenfänger, auf den sich diese Metapher bezieht, war ja nicht deshalb böse, weil er Ratten fing. Dafür hatten ihm die Bürger von Hameln laut der Sage einen Lohn versprochen, aber nicht gezahlt. Der "Teuffel" und zwar "inn menschlicher gestalt" war er, weil er "vil kinder / knebele und meidle", also unschuldige Menschen, "an sich gelockt" und entführt hatte, wie Jobus Fincelius 1556 über das schrieb, was in Hameln geschehen sein soll. Die später von den Gebrüdern Grimm ins Jahr 1284 verortete Sage gibt leider keine Hinweise, wie sich angelockte Wähler wieder von den Rattenfängern zurückholen lassen. Heim nach Hameln kamen demnach nur zwei der Kinder. Eines war blind und konnte nicht sehen, wo die Entführten waren; das zweite war stumm und konnte es nicht sagen.

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