Normalerweise ist die Choreografie bei Bundestagsdebatten klar: Die Redner der Opposition kritisieren die Kanzlerin. Und die Abgeordneten der Koalition leisten der Regierung Beistand. Umso erstaunlicher war jetzt die Debatte über Angela Merkels Corona-Regierungserklärung. In der sah sich nämlich auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus bemüßigt, Defizite aufzuzeigen. Es gebe noch keine überzeugenden Strategien für die Pflegeheime, die Schnelltests, die Impfungen und manches mehr, klagte Brinkhaus.
Es war ein Auftritt mit dem Selbstbewusstsein, das Unionsfraktionschefs immer zeigen sollten. Manche scheinen ja schon vergessen zu haben, dass die Abgeordneten die Kanzlerin wählen - und nicht andersherum. Natürlich können Koalitionsabgeordnete nicht wie die Opposition agieren - aber ihren Sachverstand und ihre Erfahrungen aus den Wahlkreisen sollten sie schon einbringen. Insofern war der Auftritt von Brinkhaus erfrischend. Unter seinem Vorgänger Volker Kauder war die Unionsfraktion oft nur ein Dienstleistungsbetrieb für die Regierung.
Brinkhaus geht es allerdings nicht nur darum, den Abgeordneten mehr Geltung zu verschaffen. Es geht ihm auch um seine Zukunft. Jens Spahn könnte im kommenden Jahr nach dem Fraktionsvorsitz greifen. Da muss man sich rechtzeitig profilieren. Spahn ist übrigens auch der Minister, der sich für die Pflegeheim-, Schnelltest- und Impfstrategien verantwortlich fühlen sollte, bei denen Brinkhaus jetzt Defizite ausgemacht hat.