Profil:Museumsfrau mit Haltung

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Die Politikwissenschaftlerin Deborah Hartmann legte sich in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit rechtspopulistischen Besuchern an. Jetzt leitet sie das Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin.

Von Verena Mayer

Es ist selten, dass Museumspersonal ins Licht der internationalen Öffentlichkeit gerät. Deborah Hartmann passierte 2018 genau das. Hartmann war pädagogische Mitarbeiterin in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und führte eine österreichische Delegation um Bundeskanzler Sebastian Kurz über das Gelände in Jerusalem. Es war die Zeit, als Kurz' Koalitionspartner, die FPÖ, mit antisemitischen Vorfällen von sich reden machte. So war ein FPÖ-Politiker Mitglied einer rechten Burschenschaft, in deren Gesangbuch der Holocaust verhöhnt wurde. Als Deborah Hartmann mit der Kurz-Delegation im "Tal der Gemeinden" ankam, sagte sie, es falle ihr schwer, hier nur an die Vergangenheit zu denken. Auf die Frage, ob sie FPÖ-Politiker durch Yad Vashem führen würde, erwiderte Hartmann: Nein, obwohl sie als Pädagogin an die Lernfähigkeit von Menschen glauben müsse.

Der Vorfall kam in die Schlagzeilen und mit ihm viele Fragen: Welche Aufgaben haben Gedenkstätten und wie geht man mit dem Antisemitismus der Gegenwart um? Fragen, die Deborah Hartmann bei ihrer neuen Aufgabe begleiten werden. Seit Anfang Dezember leitet sie das Haus der Wannsee-Konferenz, eine der wichtigsten Gedenkstätten Berlins. Das Gebäude am Großen Wannsee, eine ehemalige Fabrikantenvilla, ist eng mit der systematischen Planung des Holocaust verknüpft. Hier trafen sich am 20. Januar 1942 NS-Funktionäre, um die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" festzulegen.

Man erreicht Hartmann am Telefon, über konkrete Projekte will sie noch nicht sprechen. Sie sagt, dass das Haus "stetig wachsen" und als Forschungsstätte "attraktiv für Wissenschaftler aus aller Welt" sein soll. Aber es ist klar, dass unter ihrer Leitung das Profil geschärft werden wird. Hartmann hat seit 2015 in Yad Vashem die deutschsprachige Abteilung der International School for Holocaust Studies geleitet, ein international bekanntes Zentrum für Erinnerungspädagogik. Gleichzeitig hat sie durch ihren Lebenslauf einen Blick, der weit über Berlin hinausreicht.

Gedenkstätten müssen Konzepte entwickeln, was sie künftig erzählen und an wen sie sich richten wollen

Hartmann, geboren 1984, stammt aus Wien. Zur Beschäftigung mit der Schoah sei sie über ihre Familiengeschichte gekommen, sagt sie. Das Wiener Haus, in dem Hartmann aufwuchs, hatte ihren ermordeten Urgroßeltern gehört, ihr Großvater, der nach Palästina fliehen konnte, kämpfte nach dem Krieg lang dafür, es zurückzubekommen. Hartmann erzählt auf sachliche Art anschaulich, man merkt, dass sie es gewohnt ist, Dinge zu vermitteln. Schon in der Schulzeit befasste sie sich mit Österreichs verdrängter Vergangenheit und schrieb ihre Facharbeit über den Fall Taras Borodajkewycz, einen nationalsozialistischen Historiker, der nach dem Krieg in Wien nicht nur seine Universitätskarriere fortsetzen konnte, sondern seine antisemitischen Ansichten auch in Vorlesungen kundtat. Während ihres Studiums der Politikwissenschaft entschloss sich Hartmann, nach Israel auszuwandern. Sie bekam eine Stelle in Yad Vashem, wo sie Besuchergruppen die jüdische Perspektive auf die Schoah näherbrachte.

Nun, im Land der Täter, liegen vor Hartmann zahlreiche Herausforderungen. Das Haus der Wannsee-Konferenz ist eine von vielen Gedenkstätten in Deutschland, die Konzepte entwickeln müssen, was sie erzählen und an wen sie sich richten wollen. Gleichzeitig gerät die Gedenkkultur in Deutschland unter Druck. Da machen rechte Parolen vom "Schuldkult" die Runde, in Gedenkstätten kam es immer wieder zu Zwischenfällen mit Neonazis. In Folge der Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen zeigt sich zudem, wie tief verwurzelt antisemitische Verschwörungstheorien hierzulande sind.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lobte Hartmann für "innovative Ideen". In jedem Fall steht die 36-Jährige für eine jüngere und wohl auch politischere Generation, die sich nicht scheut, aus dem Schrecken der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen.

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