Profil:Gino Strada

Der italienische Unfallchirurg und Antikriegsaktivist versucht mit seiner Organisation Emergency, den Menschen im darbenden Kalabrien gegen Corona beizustehen.

Von Francesca Polistina

Gino Strada mag es nicht, wenn die Leute ihn als "Helden" bezeichnen, und erst recht nicht, wenn Krankenhäuser als "Frontlinie" der Pandemie bezeichnet werden. "Ich mag es nicht, weil der Krieg mir nicht gefällt", sagt er. Klingt banal, ist es aber in Anbetracht seiner persönlichen Geschichte nicht. Strada ist Kriegschirurg, er weiß, wie eine Front aussieht. Mit seiner Nichtregierungsorganisation (NGO) Emergency hat er in Afghanistan, dem Irak und vielen anderen Konfliktgebieten operiert. Elf Millionen Menschen wurden eigenen Angaben zufolge von der NGO behandelt, nun soll Emergency auch in Kalabrien aushelfen.

Die süditalienische Region hat eine der niedrigsten Covid-19-Inzidenzraten des Landes - und ist trotzdem von der Conte-Regierung schon Anfang November als "Rotes Gebiet" eingestuft worden. Das liegt daran, dass das dortige Gesundheitssystem schlecht ist, so schlecht, dass die Situation schon in normalen Zeiten als Ausnahmezustand betrachtet wird. Es fehlt an Betten, Personal, Geräten. Ein Fünftel der Einwohner lässt sich außerhalb der regionalen Grenzen stationär behandeln, Gesundheitsreisen sind ein Massenphänomen. Bisher hat es keine der Regierungen geschafft, die Bedingungen zu verbessern. Auch nicht die von Premier Giuseppe Conte, die jetzt die NGO von Strada um Hilfe gebeten hat.

Er ist eine Ikone des Pazifismus

Strada ist ein Mann mit hohen Kompetenzen und noch höheren Idealen, ein Kind der 68er-Bewegung und ihrer Träume. Er ist 1948 in der Nähe von Mailand geboren, dort hat er studiert und sich in Unfallchirurgie spezialisiert. In den Achtzigerjahren absolvierte er viele Forschungsaufenthalte im Ausland, danach war er für das Rote Kreuz unter anderem in Pakistan und Somalia im Einsatz - eine Erfahrung, die ihn tief prägte. 1994 gründete er mit seiner Frau Teresa Sarti die NGO Emergency, um Opfern von Kriegen, Landminen und Armut eine "kostenlose und qualitativ hochwertige" Behandlung anzubieten.

In Italien ist Gino Strada eine Ikone des Pazifismus - obwohl er über sich sagt: "Ich bin kein Pazifist, ich bin gegen den Krieg." Sogar ein Asteroid wurde nach ihm benannt, der "(248908) Ginostrada". Wie jede Ikone ist er jedoch nicht frei von Kritik. Zum Beispiel, dass seine NGO, um in bestimmten Gebieten tätig sein zu dürfen, mit Regimen verhandeln müsse und deshalb nicht neutral sei. Oder dass sie Spenden von Regierungen und Großunternehmen akzeptiert habe. Auf die Kritiken reagiert Strada meist wortkarg, häufig sagt er: "Lass uns uns auf die zu erledigende Arbeit konzentrieren." So wie jetzt.

Schon während der ersten Welle war Emergency in Bergamo im Einsatz, nun soll die NGO ein Feldlazarett in der kalabrischen Stadt Crotone betreiben - "ein erster Schritt", wie es heißt. Nicht alle sind damit zufrieden. Der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri zum Beispiel. Er sagt, es wäre sinnvoller, einige der vielen geschlossenen Krankenhäuser wieder zu öffnen, statt neue Feldlazarette zu errichten. Andere warnen vor einem Imageschaden, sie betonen: "Kalabrien ist nicht Afghanistan." Fakt ist aber: Schon lange ist Emergency in Kalabrien und anderen Regionen Italiens aktiv, die NGO betreibt dort Arztpraxen für Migranten und ärmere Menschen - dort, wo das Gesundheitssystem nicht hinreicht.

Denn zu den Lieblingsthemen Stradas gehört die Gesundheit als Menschenrecht, kostenlose Behandlung inklusive. In Italien ist das Gesundheitssystem öffentlich, doch in manchen Regionen wie der Lombardei verstärkt sich ein Privatisierungstrend. Strada ist der Meinung, dass das zu einer schlechteren medizinischen Versorgung auf dem Land geführt habe. Das sei aber nicht das einzige Problem. Während der Pandemie habe er verstanden: "Es ist einfacher, eine Herzchirurgie im Sudan zu eröffnen, als in Italien ein Krankenhausbett."

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