Profil:Tessa Ganserer

Profil: Tessa Ganserer schrieb Geschichte als erste Transfrau im Bayerischen Landtag. Nun sitzt sie für die Grünen im Bundestag.

Tessa Ganserer schrieb Geschichte als erste Transfrau im Bayerischen Landtag. Nun sitzt sie für die Grünen im Bundestag.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Grüne Bundestagsabgeordnete unter Genderdruck.

Von Constanze von Bullion

Sie will da raus, gibt sie zu verstehen. Sie will ihr Leben nicht in einer Schublade verbringen, auf der das Schild "Transidentität" klebt. Tessa Ganserer, 44 Jahre alt und seit knapp fünf Monaten grüne Bundestagsabgeordnete, sitzt im Umweltausschuss des Parlaments. Sie will den Bodenschutz voranbringen, das Artensterben stoppen und "dass wir große Schritte im Klimaschutz gehen", sagt sie. Ihre erste Bundestagsrede hat sie über nachhaltige Entwicklung gehalten. Interessiert allerdings hat im Parlament eher die Frage, wie Ganserers Geschlechtsorgane beschaffen sind, jedenfalls war das bei der AfD so.

"Biologisch und juristisch ist und bleibt er ein Mann", sagte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch am Donnerstag in einer Bundestagsdebatte. Gemeint war Tessa Ganserer, die mit dem Körper eines Jungen geboren wurde, sich aber seit etlichen Jahren als Frau fühlt und auch so lebt. 2021 ist sie über die bayerische Landesliste der Grünen in den Bundestag eingezogen. Am Donnerstag sah man sie dort sitzen, sichtlich angefasst, während im Plenum ein Tumult losbrach. Im Mittelpunkt stand ihr Geschlecht, mal wieder.

Die AfD-Politikerin von Storch verwandte ihre gesamte Redezeit darauf, Ganserer und die "Gender-Ideologie" zu geißeln, die Frauen um ihre Chancen bringe. "Kollege Markus Ganserer" trage Lippenstift und "Hackenschuhe", das sei "in Ordnung", so Storch. Allerdings habe Ganserer weder das biologische Geschlecht noch den Personenstand von Mann zu Frau geändert, bleibe mithin ein Mann. Über einen grünen Listenplatz für Frauen ins Parlament zu kommen, sei "schlicht rechtswidrig". Was folgte, war demonstrative Solidarisierung, mit Ganserer. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nannte Storch "niederträchtig". Niemand habe über die Kollegin zu richten und darüber, "wie diese Frau ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt". Eine Frau ist, wer sich als solche versteht, sollte das heißen. Zahlreiche Abgeordnete, auch in der Union, applaudierten und erhoben sich.

Wie Tessa Ganserer das alles fand, behielt sie zunächst für sich. Sie wolle nicht zulassen, dass ihre "grundgesetzlich geschützten Menschenrechte Gegenstand einer öffentlichen Debatte" werden, teilte sie mit, schriftlich. Sie kennt das schon, erst kürzlich warf ihr die Zeitschrift Emma vor, sich ein grünes Frauenmandat quasi erschlichen zu haben, zulasten biologischer Frauen. Eine eigenwillige Debatte entspinnt sich da, denn Ganserer lehnt das herkömmliche Konzept von Geschlecht und körperlichen Merkmalen ab, was Kritiker ratlos zurücklässt. Sie will keine operative Geschlechtsumwandlung, lehnt das Wort "Transidentität" ebenso ab wie eine Personenstandsänderung beim Amt, weil die Umstände demütigend seien. "Ein Penis ist nicht per se ein männliches Sexualorgan", sagte sie der taz. Im Übrigen werde sie, so ließ sie früher mal wissen, von ihren beiden Söhnen seit ihrem Coming-out "die Papa" genannt, und wenn schon.

Tessa Ganserer stammt aus Zwiesel im Bayerischen Wald, einem Ort, der nicht unbedingt für gesellschaftliche Unrast bekannt ist. In Zwiesel wird seit Jahrhunderten Glas produziert, auch ihr Vater hat hier in der Glasfabrik am Band gestanden. Hauptschule, Ausbildung zum Forstwirt, Fachhochschulabschluss, Mandat im Bayerischen Landtag, mit einer Grünen-Mitarbeiterin verheiratet, zwei Kinder - eine Aufsteigerbiografie wie viele, so sah es aus. Erst nach der Hochzeit 2013 soll Ganserers Ehefrau erfahren haben, dass sie mit einer Frau zusammenlebte. Sie hat die Metamorphose unterstützt. "Ich brauche und will kein Mitleid, sondern mein Recht auf Selbstbestimmung", sagt Tessa Ganserer heute zu der Auseinandersetzung um ihre Person. "Ich will einfach ich sein können und als die Frau akzeptiert werden, die ich bin." Sie möchte das nicht, die ganzen Kämpfe, einerseits. Und andererseits? Hat ihr das Stillhalten noch nie wirklich gelegen.

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