Profil:Der gefallene Engel von Myanmar

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(Foto: Picture Alliance/AP)

In Aung San Suu Kyi hat sich eine frühere Vorkämpferin für Gerechtigkeit so weit verstiegen, dass sie nun als Komplizin einer mörderischen Soldatenclique vor der Welt steht. Daran ändert auch ihr Wahlsieg nichts.

Von Arne Perras

Aung San Suu Kyi tritt als strahlende Siegerin vor die Wähler von Myanmar, ihre Popularität in der ethnischen Mehrheit der Birmanen ist ungebrochen, ihr sanftes Lächeln auch.

In vielen Ländern erleichtert ein starkes demokratisches Mandat das Regieren. Doch im hybriden System Myanmars, in dem das Militär noch immer viel Macht auf sich konzentriert, ist das nicht garantiert. Suu Kyi hatte schon bei der Abstimmung 2015 die meisten Stimmen bekommen. Doch ihrem Ziel, Myanmar zu befrieden, kam sie kaum näher. Die Chancen, dass ihr dies nach ihrem zweiten Wahlsieg leichter fallen wird, sind gering.

Die 75-Jährige hat schwer zu tragen an der Erblast eines unvollendeten Vielvölkerstaates, den militärische Gewalt bisher zusammenhielt. Was immer Suu Kyi derzeit an politischem Gewicht aufbringen mag, es reicht nicht aus, um die vielen Ethnien auszusöhnen. Dafür müsste es ihr schon gelingen, das Staatssystem grundlegend umzubauen. So hartnäckig, wie sie ist, wird sie dies weiter versuchen. Doch trotz ihres Wahltriumphs mangelt es ihr an Macht. Das Militär hält die Schlüssel in der Hand, die Generäle haben in Verfassungsfragen de facto ein Vetorecht. Ob sie sich irgendwann aus der Politik zurückziehen, entscheiden nur sie selbst. Selten wirkte eine Siegerin so ohnmächtig wie Aung San Suu Kyi.

Die 75-Jährige verfolgt eine populistische Strategie

Verblüffend ist, wie stark die Wahrnehmungen über diese eigensinnige Politikerin, die sich offenbar von niemandem beraten lässt, im In- und Ausland auseinanderklaffen. International gilt sie als gefallener Engel, vom Ansehen, das sie einst als Friedensnobelpreisträgerin genoss, ist kaum etwas geblieben. Das liegt vor allem daran, dass sie keinen Einsatz für die Rechte der muslimischen Rohingya zeigte. Aus Sicht ihrer Kritiker hat sie damit jene Ideale verraten, die sie in der Zeit des Hausarrests gegen die Junta noch tapfer verteidigt hatte.

Umgekehrt dürfte ihr aber gerade die Missachtung der Rohingya Rückhalt unter national gesinnten Birmanen gesichert haben, was sich im hohen Wahlsieg widerspiegelt. Sie verfolgt eine populistische Strategie, schärft ihr Profil als Nationalistin. Und sie hat wenig unternommen, um rassistische Ressentiments im Land zu beseitigen, die dazu führen, dass Rohingya verfolgt werden. Salopp gesagt, wollte es sich Aung San Suu Kyi nicht mit ihrem eigenen Volk verscherzen, sie hat lieber Menschenrechte geopfert als ihre Position.

Das machtpolitische Kalkül war auch in einer bizarren Episode 2019 spürbar, als sie nach Den Haag reiste, um vor dem höchsten UN-Gericht das Militär ihres Landes gegen den Vorwurf des Völkermordes in Schutz zu nehmen. Niemand weiß, wie sie den Schritt mit ihrem Gewissen vereinbart, Einblicke in ihr Seelenleben gewährt sie nicht. Sichtbar ist nur, dass sich hier eine frühere Vorkämpferin für Gerechtigkeit so weit verstiegen hat, dass sie nun als Komplizin einer mörderischen Soldatenclique vor der Welt steht.

Die Friedensnobelpreisträgerin wird zum Sinnbild des Verfalls

Suu Kyi ist den Generälen in die Falle gegangen, ihr Wahlsieg ebnet keinen Ausweg. Das Amt der Präsidentin könnte sie nur erlangen, wenn die Armee eine Verfassungsklausel ändert, die einst geschrieben wurde, um Suu Kyi zu verhindern. So bleibt ihr nur, in der Rolle einer Staatsrätin zu regieren. Womöglich setzte sie darauf, dass das Militär ihr den Weg öffnet an die Staatsspitze, wenn sie sich nur hart genug in der Rohingya-Frage positioniert. Doch danach sieht es nicht aus.

Ihr Triumph ist ein Pyrrhussieg, nicht nur, weil die Rohingya nicht wählen durften. Suu Kyi schart die Birmanen hinter sich, doch sie verliert Sympathien in kleineren Völkern, die sich an den Rändern des Staates gegen das Militär stemmen. Auch dort durften viele Menschen nicht abstimmen. Aung San Suu Kyi, die Myanmar einst so viel Hoffnung gab, wird so immer mehr zum Sinnbild des Zerfalls.

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