MeinungPrantls Blick:Leo der Zornige

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Von Heribert Prantl

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Die Auseinandersetzungen im Wackersdorfer Wald wie hier im Juni 1986 waren hart. Auf welcher Seite er zu stehen hatte, war für Leo Feichtmeier klar.
Die Auseinandersetzungen im Wackersdorfer Wald wie hier im Juni 1986 waren hart. Auf welcher Seite er zu stehen hatte, war für Leo Feichtmeier klar. (Foto: dpa)

Nachruf auf einen kreuzbraven Widerständler: Als Priester war Leo Feichtmeier das geistliche Gesicht des Protests gegen den Bau einer atomaren Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.

Alle demokratischen Politiker reden von der Zivilgesellschaft, alle loben die Zivilcourage. Auch der Bundespräsident wünscht sich in seinen Reden immer wieder „widerstandskräftige Bürger“. Das ist gut und richtig. Aber es fehlt etwas: Es fehlt oft die Bereitschaft der Redner selbst, solchen demokratischen Widerstand zu achten und nicht als Unverstand zu diskreditieren. Das ist heute so, das war gestern so: Als vor vierzig Jahren die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf in der Oberpfalz gebaut werden sollte, haben das ansonsten kreuzbrave Bürgerinnen und Bürger erlebt und erlitten, die gegen das atomare Großprojekt Widerstand leisteten. Sie lehnten sich dagegen auf, dass der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß und seine CSU ihre Heimat zu einer strahlenden Heimat machen wollten.

Wenn hier „kreuzbrav“ steht und wenn damit an das politisch umstrittenste Bauprojekt der 1980er-Jahre erinnert wird, hat das einen besonderen Grund: Soeben ist, im Alter von 91 Jahren, der katholische Geistliche gestorben, der damals als „Anti-WAA-Pfarrer“ bundesweit bekannt wurde. Er war das geistliche Gesicht des Widerstands gegen den Bau der WAA im oberpfälzischen Wackersdorf, Landkreis Schwandorf. Er war der Priester, der am Franziskus-Marterl in der Nähe des Bauzauns Andachten hielt, er war einer, der (nicht nur dort) klug und donnernd predigte wie ein katholischer Martin Luther. Der Widerstandspfarrer glich den Bildern, die man vom Reformator kennt. Er glich ihm von seiner Statur und seiner Physiognomie. Und sein bisweilen aufbrausendes Temperament passte in dieses Bild.

Staatlichen und kirchlichen Autoritäten war er zu aufmüpfig

Alle reden, alle schreiben vom neuen Papst und den Reformen, die man sich von ihm erwartet. Indes: Um Leo XIV. geht es in dieser Kolumne nicht. Aber es geht auch hier um einen Leo, um einen anderen Leo freilich. Der Leo, um den es in dieser Kolumne geht, hat keine so steile Karriere gemacht; er hat gar keine Karriere gemacht. Aber er hat das gemacht, was Politiker in ihren Reden preisen und in ihren Taten so oft verdammen: Er hat Widerstand geleistet. Er hieß Leo Feichtmeier und war katholischer Religionslehrer.

Leo Feichtmeier (28. Juli 1933 - 24. Mai 2025) predigte auch im hohen Alter am Franziskus-Marterl bei Wackersdorf.
Leo Feichtmeier (28. Juli 1933 - 24. Mai 2025) predigte auch im hohen Alter am Franziskus-Marterl bei Wackersdorf. (Foto: CC BY 3.O)

Er wurde als Sohn einfacher Leute in Freihung im oberpfälzischen Landkreis Amberg-Sulzbach geboren worden, studierte Theologie und Philosophie, wurde katholischer Priester wie seine zwei Brüder auch: erst ein hochgebildeter und sehr belesener Kaplan in Windischeschenbach und Roding in der Oberpfalz, dann Religionslehrer am Regental-Gymnasium in Nittenau, an der Schule, an der ich damals mein Abitur gemacht habe. Dort arbeitete er bis zu seiner Pensionierung als Oberstudienrat. Mehr ist er nicht geworden, nicht einmal Studiendirektor, trotz seiner vielen Dienstjahre. Der Grund: Er war den staatlichen und den kirchlichen Autoritäten zu aufmüpfig. Sie verübelten ihm sein Engagement gegen die WAA und für die Kernkraftgegner.

Als sich seine Kirchenoberen scharf gegen seine am Bauzaun stattfindenden „wirtschaftsfeindlichen Veranstaltungen“ ausgesprochen hatten (sie sprachen von den Andachten), als ihn der Generalvikar seiner Diözese Regensburg dringlichst ermahnte, diese Proteste zu lassen, als Franz Josef Strauß von einem „Werk des Teufels“ sprach und die kleine, von Kernkraftgegnern errichtete Kapelle in der Nähe des Bauzauns meinte, ließ sich Leo Feichtmeier davon nicht beeindrucken. Er machte weiter. Und als ihn seine Vorgesetzten mit einem Disziplinarverfahren wegen angeblicher Agitation bedrängten, ließ er sich auch davon nicht einschüchtern. Er war ein tiefgläubiger Christ und ein glühender Demokrat. Er hielt seine Andachten am Bauzaun, er betete und sang mit den Kernkraftgegnern, er predigte seinen oberpfälzischen Landsleuten und den aus ganz Deutschland angereisten Protestierern, er predigte ihnen über die Schöpfung und über die Gefahren, die ihr drohen. Sie hörten ihm aufmerksam und dankbar zu. Leo Feichtmeier war so, wie es heute die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner erregt, wenn sie fordert, Kirche solle nicht politisch sein,

Selig sind die Unruhegeister

Leo Feichtmeier blieb auch nach seiner Pensionierung das, was er war: ein kritischer Geist. Seine Predigten in den Sonntagsgottesdiensten blieben gepfeffert und bischofskritisch. Und er warb in Gesprächen und in Interviews mit den Lokalzeitungen für tiefgreifende kirchliche Reformen, für die Aufhebung des Zölibats, für die Weihe auch von Frauen zu Priestern, für eine bessere Zusammenarbeit von Priestern und Laien. „Ich bin immer wieder von der kirchlichen Obrigkeit enttäuscht. Dort sehe ich mehr Fehlverhalten als bei engagierten Laien“, sagte er dort.

So ein Widerstand, wie Leo Feichtmeier ihn praktizierte, verlangt Geduld, aber nicht Schafsgeduld, sondern geduldige Ungeduld, manchmal auch zornige Ungeduld. So ein Widerstand ist ein gesunder und heilsamer Wirkstoff. Er ist so etwas wie der Blütenhonig der Demokratie. Man darf ihn nicht zum Gift erklären, nur weil er einem gerade zu klebrig ist. Auch die Kirchen brauchen die Kraft, die im Widerstand steckt– außer sie wollen, wie Klöckner das fordert, unpolitisch sein und sich in die Sakristei zurückziehen. Widerspruch und Widerstand machen lebendig. Die Kirchen haben diese Lebendigkeit fürwahr nötig.

Der geistliche Widerständler Leo Feichtmeier ist soeben im Alter von 91 Jahren in Nittenau in der Oberpfalz gestorben. Am vergangenen Freitag wurde er dort beerdigt.  In der Bergpredigt stehen acht Seligpreisungen. Man darf für den Anti-WAA-Pfarrer Leo Feichtmeier eine neunte Lobpreisung hinzufügen: Selig sind die Unruhegeister und die Widerständler, denn sie erhalten uns die Heimat.

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