Süddeutsche Zeitung

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk:Diagnose Ost

Es gibt im Osten viele, für die es ein Ärgernis ist, wenn ihre Heimat zu oft auf den Status einer Krisenregion reduziert wird. Doch es gibt auch die falsche Erwartung an Medien, dass sie gefälligst gefällig zu berichten haben.

Kommentar von Jens Schneider

Es ist ein irritierender Satz, der zugleich viel Irritation offenbart. Sein Heimatland Sachsen-Anhalt finde in der ARD im Grunde nicht statt, so wurde in diesen Tagen ein CDU-Abgeordneter aus dem Landtag zu Magdeburg zitiert. Es sei denn, "wenn irgendein Mob etwas anzündet". Deshalb sei seine Lust gering, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterstützen.

Gerade wird in Magdeburg in einer grundsätzlichen Form über die Programme von ARD und ZDF diskutiert. Dahinter verbirgt sich der Argwohn, dass über den Osten in den Medien zu wenig oder ganz falsch berichtet wird, häufig gar beides.

Es geht um den Eindruck von Desinteresse und Missachtung, Missverstehen und Geringschätzung, den man sich nicht schnell zu eigen machen sollte. Der dort ansässige MDR ist recht beliebt und die Akzeptanz der Sender in den ostdeutschen Ländern laut Umfragen generell sehr hoch, allerdings geringer als im Westen - was übrigens für Medien allgemein gilt.

Die Debatte um die Gebührenerhöhung in Magdeburg sollte aber Anlass sein zu fragen, was dran sein könnte an dem Gefühl, dass der Blick auf Geschehnisse in Magdeburg oder Dresden, Cottbus oder Rostock zu oft auf schlichte Thesen reduziert wird - dabei häufig mit einem empörten Gestus oder einer besorgten Haltung, als ginge es um einen Befund, eine Diagnose.

Dies ist nicht allein eine Frage der Medien. Das Unbehagen zeigt, dass für manche - ausdrücklich: nicht für alle - die Distanz wieder größer geworden ist. Es gibt Anzeichen, dass auch junge, nach dem Ende der DDR geborene Menschen mit dem Gefühl leben, dass ihre Heimat im vereinten Deutschland nicht angemessen wahrgenommen wird. Konkret: Dass es schwer zu verstehen ist, wie selbst eine so große, lebendige Stadt wie Dresden zuletzt oft allein darauf reduziert schien, Pegida hervorgebracht zu haben.

Es ist Teil des Problems, wie leichtfertig mit dem Begriff des Ostdeutschen operiert wird

Der Streit in Sachsen-Anhalt hat auch politische Hintergründe, die mit alledem wenig zu tun haben. Dort reibt sich eine schwarz-rot-grüne Koalition auf, deren Partner von Beginn an fremdelten. Einige Christdemokraten scheinen eine Affinität zur AfD zu verspüren. Die Beschwerden über die Medien aber tauchen so auch anderswo im Osten auf, wobei schon ein Teil des Problems ist, wie leichtfertig noch mit dem Begriff des Ostdeutschen operiert wird - im Westen wie im Osten.

Der Osten? Damit fängt das Problem wirklich schon an. Niemand käme im Westen auf die Idee, sich so einen allgemeinen Begriff machen zu wollen für den Westen oder auch nur Norddeutschland, allein die Hamburger und die Bremer in einem Töpfchen, das ist unvorstellbar. Das Bild vom Osten wird aber gepflegt, und dazu tragen all jene Beiträge von Politikern und Journalisten bei, die in fröhlicher Unbekümmertheit feststellen, wie er denn so sei, der Ossi an sich.

Längst gibt es im Osten viele, die mit diesen schlichten Mustern nichts anfangen können, weil ihre Welt darüber hinausgewachsen ist. Gerade für sie muss es ein Ärgernis sein, wenn ihre Heimat zu oft auf den Status einer Krisenregion reduziert wird und Themen und Probleme zu selten vorkommen, die nicht in die üblichen Schemata passen. So dringend es ist, über Rechtsextremismus und Demokratiemüdigkeit zu berichten, so falsch wäre es, sich damit zu begnügen.

Zuweilen gibt es auch falsche Erwartungen an Medien

Passiert das tatsächlich? Wer in den ostdeutschen Ländern unterwegs ist, begegnet diesem Gefühl häufig. Das dürfte auch mit einer Wahrnehmung zu tun haben, die vor allem die missratenen Extreme sieht, während gute oder solide Alltagsarbeit der Journalisten als selbstverständlich angenommen wird.

Und es gibt zuweilen die falsche Erwartung an Medien, dass sie gefälligst gefällig zu berichten haben, wenn man sie schon, bei den Öffentlich-Rechtlichen gezwungenermaßen, bezahlt. Dass sie aufmerksam und kritisch sein müssen, passt da nur, wenn es der eigenen Meinung passt.

Aber es besteht in der Medienlandschaft auch ein Defizit. So wie es heute zwar eine in der DDR aufgewachsene Bundeskanzlerin gibt, aber wenige wichtige ostdeutsche Stimmen in der Politik, fehlen prominente Medien in und aus diesen Ländern. Manche Regionen sind im Grunde ohne bedeutende Regionalzeitungen, die Sender haben sich zu lange eher für Unterhaltung zuständig gefühlt und sind keine dominante Stimme geworden. Es gibt inzwischen respektable Bemühungen, aber gerade das überregionale Bild wird oft bestimmt von einem befremdeten Blick aus der Ferne.

In der Lausitz fragte die Schriftstellerin Brigitte Reimann im Angesicht der Plattenbau-Schluchten vor einigen Jahrzehnten die schöne Frage: "Kann man in Hoyerswerda küssen?" Das war lange vor den fürchterlichen Angriffen auf Migranten vor dreißig Jahren. Heute hat die Stadt andere Aufgaben zu bewältigen, einen dramatischen Strukturwandel vor sich. Diese schöne Frage ist eine allgemeingültige Aufforderung, genau hinzugucken. Sie zeigt, dass immer mehr zu erzählen ist als das Naheliegende.

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