Süddeutsche Zeitung

Polen:Und die EU? Tut nichts!

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Die polnische Regierung ist entschlossen, den Rechtsstaat zu beseitigen - egal, was der EuGH entscheidet. Und Ursula von der Leyen setzt die verhängnisvolle Politik ihres Vorgängers fort.

Kommentar von Florian Hassel

Es klingt zunächst einmal gut: Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ermöglicht es einem der letzten noch unabhängigen Gerichte Polens, zentrale Punkte der Demontage des Rechtsstaats in Polen außer Acht zu lassen; stattdessen können alte, dem EU-Recht entsprechende Gesetze angewendet werden. Dem EuGH zufolge soll Polens Oberstes Verwaltungsgericht (NSA) entscheiden, ob Gesetzesänderungen rechtswidrig sind, mit denen sich die Regierung 2018 die Richterauswahl und die Ernennung von Richtern unterstellte und von 2019 an auch noch verhindern wollte, sich deswegen an den EuGH zu wenden.

Es ist so gut wie sicher, dass das Oberste Verwaltungsgericht die seit 2018 laufende Richterauswahl durch einen abhängigen Landesjustizrat für rechtswidrig erklären wird. Nur: Was folgt daraus? Höchstwahrscheinlich nichts. Denn Polens Regierung ist entschlossen, den Rechtsstaat zu beseitigen, gleichgültig, was Europa sagt oder entscheidet.

Polens Verfassungsgericht ist seit Jahren nur noch der verlängerte Arm der Regierungspartei PiS, das Oberste Gericht ist auf dem Weg dorthin weit fortgeschritten. Schon urteilen dort neben alten, legal ernannten und unabhängig urteilenden Richtern 43 politisch kontrolliert ernannte, linientreue Richter einschließlich der selbst rechtswidrig ins Amt gekommenen Gerichtspräsidentin Małgorzata Manowska. Im September 2020 erklärten Richter einer vom EuGH Monate zuvor verbotenen, weil politisch abhängigen Disziplinarkammer am Obersten Gericht, ein Grundsatzurteil des EuGH zum Rechtsstaatsabbau in Polen vom 19. November 2019 könne "nicht für bindend auf Grundlage der polnischen Rechtsordnung angesehen werden".

Kritische Richter werden mit hanebüchenen Verfahren überzogen

Und schon liegt ein weiterer, wieder offensichtlich rechtswidriger Gesetzentwurf im Parlament, der die vollständige Kontrollübernahme des Obersten Gerichts durch den gleichfalls von der Regierungspartei PiS gestellten polnischen Präsidenten und linientreue Richter ermöglichen soll. Kritische Richter wie der Warschauer Igor Tuleya oder die Kraukauer Waldemar Zurek und Beata Morawiec werden mit hanebüchenen Verfahren überzogen; insgesamt sind Hunderte noch unabhängige Richter und Staatsanwälte im Visier von "Disziplinarbeauftragten" und von Polens Justizminister, der zugleich Generalstaatsanwalt ist.

Was tut indes die EU? Faktisch nichts, jedenfalls nichts Wirksames. Spätestens im Sommer 2020, als Polen ein am 8. April ergangenes EuGH-Urteil zur sofortigen Suspendierung der Disziplinarkammer missachtete, hätte die EU-Kommission beim EuGH gegen Polen tägliche Bußgelder in empfindlicher Millionenhöhe beantragen können, ja müssen. Doch leider führt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die von Berlin und Paris gestützte Realpolitik ihres Vorgängers Jean-Claude Juncker fort.

Wenn es darum geht, in problematischen Ländern den Rechtsstaat zu verteidigen, bellt die EU manchmal, aber sie beißt nicht. Statt eines Bußgeldantrags beschloss die EU-Kommission mit sträflicher Verzögerung Ende Januar nur, ein Verfahren wegen Rechtsstaatsverletzung fortzuführen und dann, vielleicht, eine weitere Klage vor dem EuGH einzureichen. Gut möglich, dass es dazu kommt, gut möglich, dass in einigen Jahren gegen Polen entschieden wird. Vom Rechtsstaat dürfte beim größten EU-Mitglied in Zentraleuropa dann freilich kaum noch etwas übrig sein.

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