Süddeutsche Zeitung

Polen:Die Gehilfin

Ausgerechnet Julia Przyłębska, Polens oberste Verfassungsrichterin, stellt sich gegen die Versuche der EU, die Regierung in Warschau von der Demontage des Rechtsstaates abzuhalten.

Von Florian Hassel, Warschau

Julia Przyłębska pflegt schon seit einiger Zeit Distanz zu europäischer Rechtsprechung. Früher wurden wichtige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auch vom polnischen Verfassungsgericht veröffentlicht. Jetzt aber stammt das letzte auf dessen Webseite zu findende Urteil der Straßburger Richter aus dem Jahr 2019. Präsidentin Przyłębska gibt sich auch sonst skeptisch gegenüber Europas höchsten Gerichten. Für diesen Dienstag hat sie nun die Urteilsverkündung über einen Antrag des Ministerpräsidenten angesetzt: Die EU-Verträge sollen für verfassungswidrig erklärt werden - jedenfalls jene Artikel, welche die juristische Grundlage dafür sind, dass Polen Urteile und Verfügungen des Gerichtshofes der Europäischen Union befolgen muss. Diese Urteile stehen nämlich dem systematischen Abbau des polnischen Rechtsstaates durch die Regierungspartei PiS entgegen. Und seit Julia Przyłębska Präsidentin des Verfassungsgerichtes in Warschau ist, hat das Gericht in allen wichtigen Verfahren nur noch im Sinne der Regierenden geurteilt.

Anders als ihre Vorgänger zeichnete sich Julia Przyłębska früher nicht als herausragende Juristin aus. Als sie nach einigen Jahren als Diplomatin 2001 wieder Richterin im westpolnischen Posen werden wollte, ging das dortige Berufskollegium die Akten ihrer ersten Zeit in diesem Amt von 1995 und 1996 durch. Wegen Dutzender festgestellter Fehler oder Versäumnisse, oft später aufgehobener Urteile und häufiger Abwesenheit war das Fazit: "Die Rückkehr von Julia Przyłębska ins Richteramt wird nicht nützlich für das Justizsystem sein."

Die Analyse wurde ignoriert, Przyłębska wurde 2001 durch Erlass des polnischen Präsidenten wieder Richterin. 2003 wechselte sie zurück an Polens Botschaft in Berlin, 2007 trat sie wiederum ein Richteramt in Posen an. Da wäre sie womöglich geblieben, hätte nicht Ende 2015 die nationalistische PiS wieder die Regierung übernommen. Przyłębskas Ehemann Andrzej wurde nun Polens Botschafter in Berlin, Julia Przyłębska ausgerechnet ans Verfassungsgericht berufen, dem wichtigsten Ziel der PiS bei ihrem Kampf gegen eine unabhängige Justiz. 2016 änderte die PiS sogar eigens das Gesetz, um Przyłębska als neue Gerichtspräsidentin durchzusetzen, nach Ansicht von Juristen erfolgte ihre Ernennung im selben Jahr durch erhebliche Rechtsverletzungen. Aber wer sollte diese nun feststellen, nachdem die Regierungspartei ihre Wunschkandidatin an der Spitze des Verfassungsgerichtes platziert hatte?

Die Gewaltenteilung legt Przyłębska eigen aus: Im Mai 2019 enthüllte die Zeitung Gazeta Wyborcza, Jaroslaw Kaczyński, PiS-Vorsitzender und Polens faktischer Regierungschef, sei regelmäßig zu Gast in Przyłębskas Dienstwohnung gewesen, manchmal mehrmals pro Woche. Offenbar wurden in dieser Wohnung Strategien und Machtfragen gemeinsam entschieden - zwischen dem Führer des Regierungslagers und der höchsten Vertreterin jener Instanz, welche diese Regierung eigentlich kontrollieren soll. Umgekehrt waren Przyłębska oder ihr Stellvertreter mehreren Berichten zufolge auch im Parlament oder in der PiS-Parteizentrale zu sehen.

Auch dieser Stellvertreter, Mariusz Muszyński, besitzt enorme Macht: Er ist jedoch einer von drei Juristen, welche die PiS zu Verfassungsrichtern erhob - anstelle ihrer noch unter der vorherigen Regierung rechtskonform gewählten Vorgänger. Am 7. Mai dieses Jahres bestätigte der EGMR in einem Grundsatzurteil, dass diese Aktion illegal war und Polen damit das Recht auf einen fairen Prozeß vor einem rechtmäßigen Gericht nach Artikel 6 §1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt habe. Parlament, Ministerpräsidentin und Präsident hätten Recht und Gesetz fundamental gebrochen und so "die ureigene Essenz des Rechtes auf ein gesetzmäßig gebildetes Gericht untergraben". Zwar entscheidet der EGMR nicht für die EU, doch beziehen sich Europas höchste Gerichte in ihrer Rechtsprechung oft aufeinander. Jedes Urteil, jede Verfügung, an der die drei "Doppelgänger" beteiligt waren, kann nun vor einem europäischen Gericht angefochten werden.

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