MeinungEuropäische Union:Um Geld und Grundsätze

Portrait undefined Josef Kelnberger

Kommentar von Josef Kelnberger

Lesezeit: 2 Min.

Protestdemonstration vor dem Verfassungsgericht in Warschau: Viele Menschen in Polen sind überzeugte Europäer. (Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Die EU darf die Zerstörung des Rechtsstaats in Polen nicht länger dulden. Sie hat Mittel, um die Regierung in Warschau unter Druck zu setzen, und es ist Zeit, diese Instrumente einzusetzen.

Die Führungsriege der Europäischen Union hat diese Woche eine in mancher Hinsicht deprimierende Debatte geführt. Es ging beim Gipfeltreffen um europäische Autonomie, vor allem militärische, und so notwendig diese Diskussion sein mag, so deutlich zeigt sie auch, wie machtlos die EU ist. Bevor die Europäer in der Lage sein würden, mit eigenen Kräften den Flughafen von Kabul gegen Taliban und IS zu sichern, wird Afghanistan wohl zu einer astreinen Demokratie herangereift sein, sprich: in unvorstellbar weiter Zukunft. Deshalb könnte man als Zyniker dem Mitgliedsland Polen fast dankbar sein, dass sie die EU nun auf ihren ureigenen Kern zurückgeführt hat. Auf gemeinsame Werte. Und gemeinsames Geld.

Die polnische Regierung macht sich die heimische Justiz untertan und schert sich dabei nicht im Geringsten um den Protest aus Brüssel. Das ist die, offensichtlich von der Regierung bestellte, Botschaft des polnischen Verfassungsgerichts, das polnisches Recht über EU-Recht stellte. Weil das gemeinsame Recht aber das Fundament der Union bildet, wird die EU-Kommission nun gar nicht mehr anders können, als in ihrer Rolle als "Hüterin" der europäischen Verträge mit dem Entzug von Haushaltsmitteln zu antworten. Mittel und Wege dazu hat sie, und es ist der richtige Zeitpunkt dafür, sie anzuwenden.

Milliardensummen werden gerade in Europa verteilt, um die Volkswirtschaften in Schwung zu bringen und klimaverträglich zu modernisieren. Ein historisches Projekt, das an Bedingungen gekoppelt ist. Die Kommission hält die Tranchen für Polen und Ungarn zurück, weil "Empfehlungen" zu Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung nicht befolgt werden. Allein für Polen stehen 38 Milliarden Euro auf dem Spiel. Und es könnte noch sehr viel mehr werden, wenn die Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleitet oder den neuen "Rechtsstaatsmechanismus" anwendet.

Fahrlässiges Gerede vom "Polexit"

Geld zu sperren ist ein durchaus gefährlicher Weg. Polen und Ungarn können wichtige Entscheidungen in der EU blockieren. Wenn sie nicht mitziehen, wird Europa seine Klimaziele nicht erreichen. Und es ist fast unmöglich, die Regierenden zu bestrafen, ohne die in der Mehrzahl europafreundlichen Menschen zu treffen und noch mehr von ihnen den Populisten in die Arme zu treiben. Eine Katastrophe von historischem Ausmaß wäre es, würden Polen oder auch Ungarn am Ende dieses Weges die EU verlassen. Deshalb handelt fahrlässig, wer nun von "Polexit" schwadroniert.

Eine besondere Rolle fällt Deutschland zu, das schon aus historischer Verantwortung Brücken bauen muss. Angela Merkel hat mit ihrer Politik des geduldigen Verhandelns Europa zusammengehalten. Aber ihre Methode stößt an Grenzen.

Wer die Riege der Staats- und Regierungschefs sah, die in Slowenien über die Zukunft Europas beriet, konnte ins Grübeln geraten. Zu den Herren Morawiecki, der in Polen den Rechtsstaat zerstört, und Orbán, der sich am Staate Ungarn bereichert, gesellten sich der Slowene Janša, ein Orbán-Fan, und der Tscheche Babiš, der im Verdacht steht, von EU-Mitteln persönlich profitiert zu haben, und an prominenter Stelle in den "Pandora-Papers" auftaucht. Dass der österreichische Kanzler Kurz just in der Woche in einer Korruptionsaffäre versank, war dem Erscheinungsbild der EU ebenfalls nicht zuträglich. Die Fälle sind nicht zu vergleichen, aber sie zeigen: Europa tut gut daran, das Verteilen von Geld mit einer Debatte über Werte zu verknüpfen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPolen und EU
:Ein Konflikt, der kaum noch zu lösen ist

Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts wirkt wie Sprengstoff in der EU. Wie geht es jetzt weiter? Können die EU-Zahlungen an Polen eingestellt werden? Fragen und Antworten zum erbitterten Streit.

Von Björn Finke, Brüssel, Florian Hassel, Belgrad, und Thomas Kirchner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: