Polen:Ein Akt politischer Feigheit

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Statt es selbst parlamentarisch durchzusetzen, hat die Regierung das gesetzliche Abtreibungsverbots an das abhängige Gericht ausgelagert. Nur eine neue Regierung, die Rechtsstaatsprinzipien achtet, könnte das ganze für nichtig erklären.

Von Florian Hassel

Grundlegende Rechte von Frauen werden in Polen seit Jahrzehnten mit Füßen getreten: ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht, ungehinderter Zugang zu Verhütungsmitteln, Entscheidungen über einen Schwangerschaftsabbruch und der Zugang zu Abtreibung. Schon 1993 schränkte Polen diese Rechte auf Druck der katholischen Kirche mit einem Gesetz ein, das Schwangerschaftsabbruch nur noch bei Schädigung des Fötus, Gefahr für die Gesundheit der Frau oder nach einer Vergewaltigung erlaubte.

De facto war dies bereits ein weit gehendes Verbot, das nun zu Ende geführt worden ist. Bis zu 150 000 Polinnen jährlich treiben ab. Doch nur etwa tausend tun dies in einem polnischen Krankenhaus, oft erst nach langem Spießrutenlauf durch unzählige Kliniken. Der große Rest wird in den Untergrund gezwungen, fährt etwa nach Deutschland oder Tschechien oder setzt zu Hause Abtreibungspillen ein, mit oft hohen Kosten und Risiken. Seit 2002 haben die Vereinten Nationen oder der Menschenrechtskommissar des Europarates Warschau immer wieder ermahnt, diese menschenrechtsverletzende Politik endlich zu ändern. Die Aufrufe blieben so folgenlos wie drei seit 2007 gegen Polen ergangene Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Schon die liberal-konservative Koalition, die Polen bis 2015 regierte, unternahm allerdings nichts, um das faktische Abtreibungsverbot aufzuheben, zu groß war die Scheu vor einem Konflikt mit der Kirche. Unter der nationalpopulistischen Regierung der PiS gewannen Fanatiker und erzkonservative Flügel der katholischen Kirche erheblich an Einfluss. Doch als das Parlament 2016 in erster Lesung ein komplettes Abtreibungsverbot beschloss, protestierten mehr als 100 000 Polinnen in 143 Städten - und die PiS ruderte zurück. Mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament hätte die Regierung das Verbot leicht beschließen können - doch dazu war sie zu feige.

Die PiS vermied rechtswidrig eine substanzielle öffentliche Diskussion, wie sie auch der Bürgerrechtskommissar eingefordert hatte, Polens letztes unabhängiges Verfassungsorgan. Und statt selbst zu handeln, überließ die PiS das Abtreibungsverbot unter Umgehung ihrer Verantwortung in einer parlamentarischen Demokratie dem Verfassungsgericht - das seinem Namen als PiS-kontrolliertem Gericht freilich schon seit 2016 keine Ehre mehr macht. Das Parlament wird nun ein Gesetz nachschieben müssen, das Abtreibung quasi komplett verbieten und neue Spaltung schaffen wird.

Es gibt nur eine positive Seite des von der PiS gewählten Manövers, über das Verfassungsgericht zu gehen. Dessen Präsidentin Julia Przylębska wurde Ende 2016 nur durch Rechtsverletzungen Chefin des Gerichts. Dort urteilen zudem mehrere parteinahe Juristen, die die PiS von Ende 2015 an anstelle rechtmäßig gewählter Verfassungsrichter installierte. Polens Bürgerrechtskommissar und anderen führenden Juristen zufolge sind diese PiS-Juristen nach rechtsstaatlichen Kriterien keine Richter; ist jedes Gerichtsverfahren, an dem einer von ihnen beteiligt war, einschließlich des aktuellen Urteils ungültig. Sollte Polen wieder eine Regierung und Richter erleben, die rechtsstaatlichen Prinzipien folgen, könnte das komplette, nun mit einem absoluten Abtreibungsverbot beendete Verfahren, für juristisch gar nicht existierend erklärt werden. Die Erfüllung dieser Hoffnung liegt freilich in weiter Zukunft. In der Gegenwart zahlen Hunderttausende Polinnen den Preis für einen Sieg engstirniger Fanatiker und ihrer Verbündeten.

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