„In aller Ruhe“ mit Carolin Emcke:„Kollektive Katharsis“ – Katja Kipping über Solidarität und Soziale Arbeit

Lesezeit: 3 Min.

Katja Kipping glaubt, dass die Soziale Arbeit und ihre Herausforderungen in der Öffentlichkeit präsenter werden müssen. (Foto: Anke Illing/Bearbeitung SZ)

Erschweren die gegenwärtigen Krisen das soziale Engagement? Darüber spricht Carolin Emcke mit der Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

Podcast von Carolin Emcke, Text von Ann-Marlen Hoolt

Wohnungsnot, Bürgergeld, Ausgrenzung – es gibt viele drängende soziale Probleme. Doch angesichts großer globaler Krisen scheinen sozialpolitische Themen im gesellschaftlichen Diskurs an Relevanz zu verlieren. Die eine Notlage wird gegen eine andere ausgespielt. Über die Bedeutung sozialen Engagements und das gesellschaftliche Klima spricht Carolin Emcke in dieser Folge des Podcasts mit Katja Kipping vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Kipping (geb. 1978 in Dresden) war lange Vorsitzende der Partei „Die Linke“, für die sie auch als Abgeordnete im Bundestag saß. Von 2021 bis 2023 war die Politikerin zudem Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales. Kipping ist im September 2024 in die Geschäftsführung des Paritätischen Gesamtverbands eingetreten, der Dachverband der freien Wohlfahrtspflege, dem über 10 000 eigenständige Organisationen angehören. Hier leitet Katja Kipping seit dem September außerdem die Abteilung für Sozialpolitik und Europa.

Das Ende der Ampel gefährdet die Existenz vieler sozialer Träger

Im Podcast sprechen Carolin Emcke und Katja Kipping über die gegenwärtigen Bedingungen für soziales Engagement. Kipping erklärt, warum gerade das Aus der Ampelregierung und die damit einhergehende vorläufige Haushaltsführung für große Unsicherheit bei sozialen Vereinen und Organisationen sorgen. Sie bekämen gerade nur einen Bruchteil der ihnen zugesicherten Fördermittel – und müssten auf den Rest noch so lange warten, bis sich eine neu gewählte Bundesregierung auf einen Haushalt geeinigt hat. Das werde bis zum Herbst dauern, befürchtet Kipping – zu lange für kleine Vereine ohne Rücklagen, die, um Kosten zu sparen, bis dahin vielleicht schon Mitarbeitern kündigen oder Mietobjekte aufgeben müssen. „Es ist eine echte Existenzgefährdung. Wir befürchten, dass es gerade bei kleineren Akteuren ein echtes Trägersterben gibt.“

Mit Blick auf den derzeitigen politischen Diskurs stellt Kipping fest, dass die Bedeutung von sozialer Infrastruktur und sozialer Einrichtungen in der Öffentlichkeit stärker herausgestellt werden müsse. „Da hat die Freie Wohlfahrtspflege auch ein echtes Imageproblem.“ So groß die persönliche Anteilnahme während der Corona-Pandemie auch war, sei es nicht gelungen, daraus eine gemeinschaftsbildende Struktur zu schaffen. Dafür habe es an organisierenden Kräften gefehlt, und an „Geschichtenerzählerinnen, die den utopischen Überschuss – etwa die Aufopferung von Angestellten in der Gesundheitsbranche – zu einer gemeinsamen Erzählung verbunden haben.“ Entsprechende Stimmen habe es zwar gegeben, sagt Kipping, doch ihnen habe die öffentliche Plattform gefehlt. Sie sieht hier insbesondere Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung, da gerade diese in der Öffentlichkeit stark gehört würden.

Eine Krise nach der anderen – soziale Arbeit findet seit Jahren nur noch unter Druck statt

Gleichzeitig erinnert Kipping im Podcast aber auch daran, wie hoch der Druck war, der in der Pandemie auf sozialen Trägern gelastet habe. Und kaum hatte sich das Infektionsgeschehen beruhigt, habe mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine und den damit verbundenen Fluchtbewegungen bereits die nächste Krise begonnen. In der sozialen Branche herrsche seit Jahren eine „gewisse Atemlosigkeit“.

Auch das gesellschaftliche Klima in Deutschland belastet die Organisationen und Vereine, erzählt Kipping. Sie merke in Gesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass Angriffe, Drohungen und Polemiken gegen marginalisierte Gruppen und Bedürftige zunehmend vorkommen. „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir gerade eine kollektive Katharsis haben, also eine Phase, wo vieles, von dem wir dachten, dass wir einen Fortschritt erzielt haben, ausgebremst wird.“ Kipping plädiert dafür, diese Umstände als Chance zu betrachten. „Ich suche mir ja nicht aus, ob ich in einer Zeit tätig bin, in der alles super und einfach ist. Ich kann mir nur aussuchen, wie ich auf die Umstände, in denen ich lebe, reagiere.“

Empfehlung von Katja Kipping

Katja Kipping empfiehlt die "Känguru-Chroniken" und auch alle anderen Werke des Autors Marc-Uwe Kling, hier zu sehen bei einer Lesung in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Humor ist für Katja Kipping besonders hilfreich und wichtig. Deshalb empfiehlt sie als großer Fan des Autors Marc-Uwe Kling insbesondere dessen Känguru-Chroniken. Wer keine Zeit zu lesen hat, könne aber auch einfach das Känguru-Quartett spielen. „Auch dabei kann man viel Freude haben“. Außerdem empfiehlt Kipping das Kochbuch „Klimagesund kochen und genießen“ vom Paritätischen Wohlfahrtsverband – weniger zum Lesen, sondern vor allem zum Nachkochen.

Moderation, Redaktion: Carolin Emcke

Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt

Produktion: Imanuel Pedersen

Bildrechte Cover: Anke Illing/Bearbeitung SZ

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