Die Vereinigten Staaten von Amerika scheinen zunehmend autokratischer zu werden. Schon nach zwei Monaten Trump-Präsidentschaft hat sich derart viel in dem Land verändert, dass man hierzulande fast nicht mehr mitkommt. Tausende Menschen wurden in Abschiebehaft gesteckt, die Rechte von trans Menschen wurden beschränkt, viele Staatsbedienstete entlassen. Schritt für Schritt scheinen viele föderale Institutionen gerade abgebaut zu werden. Begeht Donald Trump hier einen Staatsstreich? Über diese Frage spricht Carolin Emcke mit Bernard Harcourt, US-amerikanischer Jurist und Politikwissenschaftler.
Bernard E. Harcourt, geboren 1963, studierte an den Elite-Universitäten Princeton und Harvard. Er ist sowohl Politik- als auch Rechtswissenschaftler, vertrat und vertritt als Rechtsanwalt zahlreiche Häftlinge, die zum Tode oder zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt wurden. Zurzeit lehrt er als Professor sowohl an der Columbia University als auch an der École hautes études en sciences sociales in Paris. Hier ist Harcourt auch wissenschaftlicher Direktor. Sein wissenschaftlicher Fokus liegt unter anderem auf Praktiken des Bestrafens, auf kritischer Theorie und politischem Protest. Er ist Autor von mehr als einem Dutzend Bücher.
Ist das ein Umsturz oder eine Gegenrevolution?
Carolin Emcke und Bernard Harcourt sprechen im Podcast über die aktuelle politische Lage in den Vereinigten Staaten, insbesondere über die Bemühungen der Trump-Regierung, Bundesinstitutionen abzubauen sowie Macht und Ressourcen umzuverteilen. Harcourt analysiert dies als neue Phase einer langjährigen konservativen Gegenrevolution in den USA. Er zieht dabei Parallelen zur Reagan-Ära und dem gewaltsamen Vorgehen gegen Demonstrierende in den 1970er-Jahren.
Die Trump-Regierung befinde sich gerade in der Abrissphase. „Das ist immer die einfachste Phase eines Bauprozesses“, sagt Harcourt im Podcast. „Es ist sehr einfach, eine Axt in die Hand zu nehmen und Wände einzubrechen.“ Schwerer werde es, auf den Trümmern dann wieder etwas aufzubauen, das lange und sicher hält.
Harcourt spricht im Podcast außerdem darüber, welche verheerenden Auswirkungen Trumps Politik auf marginalisierte Bevölkerungsgruppen – wie Einwanderer oder trans Menschen – hat. Er erzählt von einem ehemaligen Studenten, der ohne ordnungsgemäßes Verfahren abgeschoben wurde und den er als Strafverteidiger vertreten hat. „Er wurde aus seiner Gemeinschaft gerissen und nach Jamaika abgeschoben.“ Obwohl er die Todestrakte amerikanischer Gefängnisse kenne, sagt Harcourt, „schockiert es mich immer wieder, was im Bereich der Einwanderung möglich ist“.
Europa wird den Wert der Demokratie verteidigen müssen
Mit Hinblick auf den Mangel an sichtbarem Widerstand und Protest aus der amerikanischen Bevölkerung mutmaßt Harcourt, dass die Strategie der Demokratischen Partei, auf die Selbstzerstörung der Republikaner zu warten, möglicherweise fehlgeleitet sein könnte. Und er fordert Europa auf, eine aktivere Rolle bei der Verteidigung demokratischer Werte und Institutionen zu spielen. „Europäische Länder müssen verhindern, bei ihren Wahlen aus dem demokratischen Sattel geschleudert zu werden.“
Ursprünglich sollte es im Gespräch auch um die geplante Abschiebung von Mahmoud Khalil gehen. Einem Graduierten der Columbia University, der trotz Greencard abgeschoben werden sollte, weil er an propalästinensischen Protesten teilgenommen hat. Doch der Podcast wurde hier von aktuellen Ereignissen eingeholt. Auf Bitte von Bernard Harcourt wurde diese Passage deshalb nachträglich aus dem Gespräch herausgeschnitten. Gerne können Sie sich anhand von weitergehender Literatur zu dem Fall informieren.
Eine Einordnung von SZ-Korrespondent Boris Herrmann: Trump will an Mahmoud Khalil ein Exempel statuieren.
Ein Kommentar von Bernard Harcourt im britischen Guardian: The US is poised to use terror laws against students.
Eine Zusammenfassung des amerikanischen New Yorker: The Case of Mahmoud Khalil.
American Civil Liberties Union: A Letter from Mahmood Khalil.
Empfehlung von Bernard Harcourt
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Bernard Harcourt empfiehlt ein Album, das ihn angesichts der politischen Lage zurzeit am meisten beruhigt: „Berlin – Songs of Love and War, Peace and Exile“. Der Jazzsänger und Komponist Theo Bleckmann interpretiert darauf Lieder von Bertolt Brecht, gemeinsam mit Fumio Yasuda, Todd Reynolds, Courtney Orlando, Caleb Burhans und Wendy Sutter. Bleckmann ist Professor für Jazzgesang an der Manhatten School of Music, stammt aber ursprünglich aus Deutschland.
Moderation, Redaktion: Carolin Emcke
Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt
Produktion: Imanuel Pedersen
Bildrechte Cover: Harcourt/Bearbeitung SZ