Pflegereform:Kinder bitte aus der Rechnung raushalten

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Wer ökonomisch Kinder nach Schaden und Nutzen bemisst, dürfte nicht beim nationalen Sozialsystem stehen bleiben. (Foto: picture alliance/dpa)

Der Kinderlosenzuschlag in der Pflegeversicherung soll erhöht werden - das ist falsch. Wer einer derartigen Logik folgt, kommt darin um.

Kommentar von Jan Bielicki

Es gab Zeiten, da Kinder kriegen und Kinder aufziehen nicht nur teuer war, sondern auch gut. Gut für die Gesellschaft, gut vor allem für das Sozialsystem, dessen Funktion ja davon abhängt, dass aus Kindern einmal Beitragszahler werden, die für die Generation ihrer dann zu Leistungsempfängern gewordenen Eltern aufkommen.

Wer unbedingt will, und das sind nicht wenige, mag daraus folgern, dass Beitrag nicht gleich Beitrag sein darf. Denn Kinderlose zahlen nur Geld, Eltern aber produzieren dazu noch die Geldzahler von morgen - und müssten in dieser Logik entsprechend bei ihren finanziellen Beiträgen entlastet werden. "Abkindern" hieß das Prinzip einst in der DDR. Das Bundesverfassungsgericht sprach 2001 lieber vom "generativen Beitrag" der Eltern, den die Politik in der Pflegeversicherung gefälligst zu berücksichtigen habe. So geschah es, und seither zahlen Kinderlose hier einen Kinderlosenzuschlag.

0,25 Prozent beträgt der und soll jetzt um o,1 Prozentpunkte erhöht werden. Diese niedrig erscheinenden Kommastellen-Zahlen dürfen nicht täuschen: Es geht um mehr. Die Richter haben damals eine Tür geöffnet, hinter der sich abschüssiges Terrain ausbreitet. Zunächst nur einen Spalt breit - aber längst liegen ihnen Verfassungsbeschwerden vor, die darauf zielen, Kinderlose auch in Renten- und Krankenversicherung zu Zusatzzahlungen zu verpflichten. Das würde freilich die Tür samt Angeln und Rahmen aus dem Mauerwerk sprengen.

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Logisch wäre das durchaus - aber eben nur in einer Logik, die das Kinderkriegen rein versicherungstechnisch ökonomisiert. Nach solcher Denkart jedoch gäbe es schier unzählige Faktoren, die Zuschläge, Abschläge und allerlei Schadensfreiheitsrabatte rechtfertigen könnten. Kinder kriegen, Sport treiben, rauchen und noch viel mehr hat ja alles versicherungsmathematische Folgen. Doch alles mögliche in der Höhe der Beiträge und Leistungen zu berücksichtigen, würde die dem System zugrunde liegende Solidargemeinschaft nicht stärken, sondern in ihre Einzelteile zerlegen.

Beim Klimawandel ist Kinderkriegen gewichtiger Teil des Problems

Aber wenn es doch um Kinder geht? Nun: Wer derart ökonomisch Kinder nach deren Schaden und Nutzen bemisst, dürfte ehrlicherweise nicht beim nationalen Sozialsystem stehen bleiben. Und schon bei der derzeitigen Weltkrise Nummer eins, dem Klimawandel, ist Kinderkriegen eben nicht gut und die Lösung, sondern gewichtiger Teil des Problems.

Hier liegt die Krux nicht darin, dass es zu wenige Kinder gäbe. Es sind vielmehr viel zu viele. Am Ende dieses Jahrhunderts werden Prognosen zufolge gut zwei Milliarden Menschen mehr auf dieser Erde leben als heute. Sie wollen alle ernährt, untergebracht, versorgt sein - mit allen Folgen, die das für die Umwelt hat. Hier gilt: Wer kinderlos bleibt, tut etwas fürs Klima.

Sollten deshalb Kinderlose einen Ausgleich für ihren nicht-generativen Beitrag beanspruchen dürfen? Natürlich nicht. Aber das Beispiel zeigt: Wer einer derartigen Logik folgt, kommt darin um. Nachdem die Karlsruher Richter dieser Logik einst in Sachen Pflegeversicherung quasi Verfassungsrang gegeben haben, wird es zwar schwer sein, sie wieder umzustoßen. Aber ihr weiter folgen sollte man nicht. Auch nicht, wenn es nur um 0,1 Prozentpunkte geht.

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