China:Ohren zu!

Staats- und Parteichef Xi Jinping bringt das Land auf seinen aggressiven Kurs - weil er weiß, wie er seine Generation sowie die jüngere anpacken muss.

Von Christoph Giesen

Westliche Manager loben gerne die langfristige Planung der Kommunistischen Partei, dass es keine Umfragen gibt, die die Politik beeinflussen, keine Landtagswahlkämpfe und zähen Koalitionsverhandlungen, stattdessen Fünfjahrespläne, die Punkt für Punkt abgearbeitet werden. Es ist ein überholtes Bild. Die Führung in Peking agiert inzwischen kurzfristig, getrieben und erratisch. Die Welt muss sich auf ein zunehmend unkontrollierbares Handeln aus China einstellen.

Nachdem die Europäische Union Anfang der Woche gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang Sanktionen gegen vier chinesische Funktionäre ausgesprochen hatte, überreagierte der chinesische Apparat prompt: Etliche Abgeordnete und Wissenschaftler aus Europa haben nun China-Verbot.

Sanktionen gegen fünf EU-Abgeordnete? Eigentlich verrückt

Strategisch betrachtet ist das nachgerade Wahnsinn: Um nicht in einen handelspolitischen Zweifrontenkrieg verstrickt zu werden, stimmte die chinesische Führung kurz vor Ablauf von Donald Trumps Präsidentschaft einem Investitionsabkommen mit der EU zu - über das zuvor jahrelang ergebnislos verhandelt worden war. Das Europäische Parlament muss dem allerdings zustimmen. Wer in Peking glaubt, dass es noch immer eine Mehrheit für das Abkommen gibt, nachdem das chinesische Außenamt fünf EU-Abgeordnete auf seine Sanktionsliste gesetzt hat, hat von parlamentarischer Demokratie reichlich wenig verstanden. Auf Twitter legen Chinas Diplomaten dennoch fast im Stundentakt nach. Die meisten Tweets lesen sich so, als habe man das Handwerk von Trump höchstpersönlich gelernt. Sie verbreiten laute und vulgäre Verschwörungserzählungen auf einem Dienst, der in der Volksrepublik gesperrt ist. Wieso reagiert China so kopflos?

Jahrzehntelang galt in der Volksrepublik ein simpler Pakt: Die Regierung sorgt dafür, dass die Wirtschaft wächst, im Gegenzug mischen sich die Chinesen nicht in die Politik ein. Staats- und Parteichef Xi Jinping hat diesem Deal ein weiteres Element hinzugefügt: Müsste man seine Politik auf eine einfache Formel bringen, würde man ausgerechnet im Wortschatz von Donald Trump fündig: "Make China great again." Auf Chinesisch kommt es subtiler daher: "Fuxing" hört man fast täglich, übersetzt bedeutet das "Erwachen", "Erneuerung" oder "Wiedergeburt". Selbst die Schnellzüge heißen inzwischen so. Statt mit dem ICE fährt man in China im Fuxing. Was ein wenig mystisch klingt, ist knallharter Nationalismus. Das Ausland habe sich gegen die Volksrepublik verschworen, trichtert die Propaganda den Chinesen ein.

Früher ein Einparteienstaat, jetzt eine One-Man-Show

Gut vierzig Jahre ist es nun her, dass Deng Xiaoping nach dem Tod Mao Zedongs das Land wieder an die Weltwirtschaft koppelte und China ein unvergleichbares Wachstum bescherte. Aus einem der ärmsten Staaten ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde geworden. Das Reformrezept: eine kollektive Führung, die mit Bedacht vorgeht, und kein Personenkult mehr. Einen fehlbaren Alleinherrscher, so etwas sollte es in China nicht mehr geben.

Xi Jinping aber hat aus dem Einparteienstaat eine One-Man-Show gemacht. Wenn er will, kann er auf Lebenszeit Präsident bleiben, 2018 hat er die Amtszeitbegrenzung abschaffen lassen. Und nicht nur das: Das Xi-Jinping-Denken hat inzwischen Verfassungsrang. Chinas Zukunft hängt auf Gedeih und Verderb von den Entscheidungen eines einzigen Mannes ab. Es gibt kein Korrektiv mehr, weil niemand im Apparat mehr wagt zu widersprechen.

Diese Generation hat etwas gelernt: Anpassungsfähigkeit

Die meisten Chinesen fügen sich. Das hat auch damit zu tun, dass Xi Jinpings zahnlose Mitstreiter ausgerechnet zur verlorensten Generation Chinas gehören: jene, die auf die Welt kam, als die Volksrepublik gerade gegründet wurde. Sie waren Kinder, als Staatsgründer Mao Zedong 1957 den "Großen Sprung nach vorn" ausrief und das Land in die gewaltigste Hungerkatastrophe der Menschheitsgeschichte trieb. Xi Jinping war damals im Kindergartenalter. Dann die Kulturrevolution, eine Dekade völliges Chaos, das waren die Jugendjahre dieser Generation, kein Abitur, kein Studium, sondern Feldarbeit und Demütigungen. Schließlich der nächste radikale Wechsel, Chinas wirtschaftliche Öffnung, plötzlich war es glorreich, reich zu werden. Und nun wieder ein Umschwung, die Re-Ideologisierung. Wenn die Alterskohorte von Xi Jinping eines in den vergangenen Jahrzehnten erlernt hat, dann ist es Anpassungsfähigkeit. Stoisch wird nun auch der neueste Kurswechsel ertragen.

Den Jüngeren hat Peking eine kollektive Amnesie verordnet. Der Staat hält ihnen die Ohren zu, und das Erschreckende ist: Es funktioniert. Das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 - kaum jemand aus der Generation unter 30 in China hat je davon gehört. Das Internet wird zensiert, in den Zeitungen und im Fernsehen kein Wort. Die Manipulation wirkt - in China; aber nicht im Rest der Welt, das ist das große Missverständnis in Peking.

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