Süddeutsche Zeitung

Pegasus-Projekt:Mächtiges Werkzeug - teils in falschen Händen

Die nun aufgeflogene Überwachungs-Software aus Israel kann zu einer massiven Bedrohung für die Freiheit werden.

Kommentar von Ralf Wiegand

Bei den Recherchen zum Pegasus-Projekt konnte einen bisweilen das Gefühl beschleichen, die mächtige Software zum unbemerkten und lückenlosen Ausspionieren von Handys verbreite sich unter Staaten so ähnlich wie ein lustiges Gif auf Twitter: immer munter teilen. Allerdings darf man schon davon ausgehen, dass die Regierungsstellen jener Länder, die den Trojaner Pegasus nutzen, dafür viel Geld an den Hersteller, die NSO Group aus Israel, bezahlt haben. Sie vergibt die Lizenzen - nachdem angeblich das israelische Verteidigungsministerium die Genehmigung zum Export erteilt und der Kunde schriftlich versichert hat, ganz gewiss nur Gutes damit zu tun. Genauer lässt sich das für die NSO nicht bestimmen, denn wer die Kunden sind, hält die Firma geheim.

Man kann dafür sogar ein gewisses Verständnis aufbringen. Geheimdienste, die Geheimdienstzeugs kaufen, wollen das nicht hinausposaunt wissen. Auch James Bond verrät ja nicht vorher, dass er einen Fernzünder auslöst, wenn er an der Lünette seiner Armbanduhr dreht, sonst würde er nicht jedes Mal die Welt retten. Will, nun ernsthaft, heißen: Jeder Vorsprung des Staates vor der digital hochgerüsteten organisierten Kriminalität und weltweit vernetzten Terroristen ist begrüßenswert. Vorsprung durch Technik könnte durchaus ein Slogan der Überwachungsindustrie sein, nicht nur der Autoindustrie.

Software wie Pegasus ist dafür fraglos eine schlagkräftige Waffe. In den falschen Händen aber wird sie, wie alle Waffen, zur großen Gefahr. Wer jederzeit weiß, mit wem der andere spricht, wen er trifft, wo er ist, was er liest, wen er liebt, wem er schreibt, woran er glaubt - der kann jeden ausschalten, der seiner Meinung nach das Falsche liest, glaubt und schreibt.

Gefährlich und geheim

Auf diese unerhörte Weise erlangtes Wissen kann dazu dienen, oppositionelle Politiker zu erpressen, kritische Journalisten kaltzustellen oder Menschenrechtsaktivisten mundtot zu machen - wenn es beim Mundtotmachen bleibt. Das sind meistens die Ziele von Trojanern wie Pegasus, wenn sie gegen die Regeln verwendet werden - und diese Regeln überdies nicht einmal jemand überwacht. Eine Cyberwaffenexportkontrolle, die den Namen verdient, mit internationalen Gesetzen und Strafen, hat die Staatengemeinschaft bis heute nicht zustande gebracht. Es wird höchste Zeit.

Für autokratische Regierungen ist die Kontrolle der Bevölkerung alles und das freie Wort eine Bedrohung. Ihnen dient eine Technologie wie Pegasus als das ideale Einbruchswerkzeug in die Synapsen der Gesellschaft, deren Kommunikationswege und Datenleitungen. Alles, was passiert, wird irgendwann vorher besprochen, jede Demonstration, jede Parteigründung, jeder kritische Artikel. In vielen Ländern dieser Welt hängt das Leben von Menschen davon ab, ob sie dabei einen Weg finden, sich geschützt austauschen zu können.

Dass Pegasus auch eingesetzt wird, damit Staaten Staaten ausspionieren, ist hingegen nicht sonderlich überraschend. Sie tun das manchmal vielleicht einfach nur, weil sie es können: Ich spitzle, du spitzelst, wir spitzeln. Man sollte sich nur nicht erwischen lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das in all ihrer bisweilen sehr präzisen Merkelhaftigkeit schon 2013 in einem Satz zusammengefasst, der auf ein T-Shirt passen würde: Ausspähen unter Freunden geht gar nicht. Das sagte sie, nachdem bekannt geworden war, dass die großen Antennen auf der Berliner US-Botschaft nicht nur ARD und ZDF empfangen, sondern auch das eine oder andere Telefongespräch, für das die Amerikaner gar niemand angerufen hatte. Ein diplomatischer Schluckauf, mehr war das nicht.

Pegasus sieht alles, hört alles

Kriminell wird der Einsatz von Cyberwaffen aber, wenn er sich gegen die eigene Bevölkerung richtet. Vielleicht hilft es, sich zu veranschaulichen, was Pegasus kann, wenn es erst mal ein Handy verseucht hat. Egal was man sieht, schreibt, spricht, hört, welche Internetseiten man besucht, welche Termine man verabredet, welche Fotos man macht, welche Route man plant und welchen doppelt verschlüsselten Messangerdienst man mit verifizierten Kontakten benutzt: Pegasus kriegt alles mit, nimmt alles auf, gibt alles weiter. Geduldig, geräuschlos, geheim. Die Stasi musste für diese Art der Informationsgewinnung noch echte Menschen einschleusen und abfischen.

Deutschland darf sich bei der Forderung nach Kontrollen und Sanktionen auf dem Markt der digitalen Totalüberwachung gerne an die Spitze der Bewegung setzen. In der Geschichte dieses Landes sind die Freiheit des Wortes, die Privatsphäre, die beruhigende Gewissheit, unter sich zu sein, mehr als einmal bis aufs Äußerste angegriffen worden. Heute lebt man in der Bundesrepublik mit der einigermaßen festen Überzeugung, dass der Staat sich Grenzen setzt oder man ihm Grenzen setzen kann, wenn es um das Belauschen seiner Bürgerinnen und Bürger geht. Andere Länder, und sie müssen nicht weiter weg liegen als Ungarn, das Pegasus offenbar auch zu schätzen weiß, sind längst wieder auf einem anderen Weg.

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