Süddeutsche Zeitung

Streit um Turbine:Scholz baut für den Winter vor

Lesezeit: 2 min

Der Bundeskanzler besichtigt die gewartete Strömungsmaschine für die Gas-Pipeline nicht, um Putin Lügen zu strafen. Es geht um sein Image in Deutschland.

Kommentar von Daniel Brössler

Ein Irrtum im Umgang mit Wladimir Putin ist die Vorstellung, es könnte dem Mann irgendwie peinlich sein, einer Lüge überführt zu werden. Olaf Scholz ist lange genug Kanzler, um diese Lektion gelernt zu haben. Er hat bei Siemens in Mülheim an der Ruhr nicht vor der frisch gewarteten und zum Abtransport bereiten Gasturbine posiert, weil er annehmen würde, der Kremlchef könnte sich nun ertappt fühlen bei der lächerlichen Behauptung, Probleme mit der Turbine wären schuld am gedrosselten Gasfluss durch Nord Stream 1. Putin macht es gar nichts aus, wenn seine Lügen als solche erkannt werden. Wenn er Gegner vergiften und erschießen lässt, wäscht er seine Hände stets in Unschuld und zugleich in Blut. Die Welt soll wissen, wozu er fähig ist.

Warum dann überhaupt lügen? Die Antwort ist in einem Brief ostdeutscher Bürgermeister an die Bundesregierung ebenso zu finden wie im jüngsten Interview von Gerhard Schröder. Schröder wie die Bürgermeister tun so, als gebe es da tatsächlich ein Problem, das durch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 gelöst werden könnte. Schröder, der im laufenden Wirtschaftskrieg auf russischer Seite kämpft, schreckt nicht einmal vor der Behauptung zurück, es gebe keine politische Ansage des Kreml, den Gasfluss zu drosseln. Es handele sich vielmehr um ein "technisches und bürokratisches Problem" auf beiden Seiten. Damit verfolgt er nur einen Zweck - den gesellschaftlichen Druck auf die Bundesregierung und seinen Nachnachfolger Olaf Scholz zu erhöhen.

Scholz richtet eine Botschaft an die Deutschen, nicht an Putin

Deshalb ist der Kanzler nach Mülheim gefahren. Nicht um Putin, sondern um den Deutschen zu zeigen: Seht her, an dieser tiptop gewarteten Turbine liegt es nicht. Die Russen müssten sie nur ins Land lassen. An der Lage änderte es, selbst wenn sie es täten, übrigens nichts. So wenig wie die nach Siemens-Angaben ohnehin erst im September benötigte Turbine schuld ist am gedrosselten Gasfluss, so wenig hindert ihr Einbau Putin daran, neue fadenscheinige Vorwände zu erfinden, um die Menge zu reduzieren oder den Gasfluss ganz zu stoppen. Nur wenn Deutschland sich darauf einstellt, wird es einigermaßen durch den Herbst und den Winter kommen. Davon hängen nicht nur die wirtschaftlichen Aussichten des Landes, sondern auch die politischen des Kanzlers ab.

Aus diesem Grund betont Scholz unablässig, wie sehr und vor allem wie früh - nämlich schon vor dem Überfall auf die Ukraine - er mit den Vorbereitungen auf den drohenden Gasmangel begonnen habe. Scholz baut hier offenkundig für alle Eventualitäten vor. Wenn es Deutschland so schlimm trifft wie befürchtet oder noch schlimmer, soll es zumindest nicht an der fehlenden Weitsicht des Kanzlers gelegen haben. Wenn es glimpflich ausgeht, soll wiederum jede und jeder wissen, wem das zu verdanken ist.

Scholz hat darauf verwiesen, was schon alles passiert ist oder bald passiert - die Bestellung von Flüssiggas und der Bau von Terminals, die gesetzlich angeordnete Befüllung der zu Zeiten von Angela Merkel absurderweise großteils Russland überlassenen Gasspeicher, wieder hochgefahrene Kohlekraftwerke und Einsparungen. So gesehen war der Turbinen-Auftritt des Kanzlers auch ein erster Versuch des Ausbruchs aus der Doomsday-Spirale der vergangenen Wochen. Im notwendigen Bemühen, ihnen den Ernst der Lage vor Augen zu führen, hat die Bundesregierung vielen Menschen Angst eingejagt. "Wir schaffen das", hat Scholz in Mülheim nicht gesagt. Dass die Deutschen es glauben, das möchte er aber schon.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5632930
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.