Süddeutsche Zeitung

Österreich:Reif für eine zweite Amtszeit - mit 78 Jahren

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Alexander Van der Bellen bewirbt sich noch einmal für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten. Die Wähler werden ihm das wohl kaum verwehren, auch wenn sich nicht alle gleichermaßen freuen.

Von Cathrin Kahlweit

Es war natürlich zum Schluss keine Nachricht mehr, weil eine Nachricht ohne Überraschungsfaktor ja eher eine Bestätigung ist: Schon vor einigen Tagen war ein - mit dem Song "Should I stay or should I go" unterlegtes - Video auf Tiktok aufgetaucht. Es ließ kaum einen anderen Schluss als den zu, dass der 78 Jahre alte österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen den im Durchschnitt eher jugendlichen Tiktok-Nutzern zeigen wollte, wie jung er im Herzen ist. Also: frisch genug, um eine zweite Runde als Präsident einzulegen.

Und als dann am Sonntagnachmittag ein zweites Video in allen Social-Media-Kanälen auftauchte, in dem Van der Bellen auch offiziell seine Kandidatur verkündete, wurde höchstens noch darüber spekuliert, wie groß die politischen und mathematischen Chancen sind, dass er die Direktwahl im Herbst verlieren könnte. Spoiler: eher unwahrscheinlich. Denn SPÖ und Neos haben ihm schon ihre Unterstützung signalisiert, die Grünen, aus deren Partei er kommt, sowieso.

Die ÖVP grübelt noch ein bisschen, will aber auch keinen FPÖ-Präsidenten

Auch die ÖVP dürfte zum Schluss zur Wiederwahl von "Sascha", wie ihn seine Fans nennen, aufrufen. Selbst wenn sich die Konservativen noch eine kleine Bedenkzeit ausbedungen haben. Aber erstens hätte die ÖVP keinen chancenreichen Gegenkandidaten, zweitens koaliert sie mit den Grünen, und drittens ist es politischer Konsens, dass der Erfolg eines FPÖ-Kandidaten gemeinsam verhindert werden muss. Die Rechtspopulisten wollen nämlich wieder jemanden ins Rennen schicken. Und beim letzten Mal, 2016, lag der damalige FPÖ-Mann Norbert Hofer im ersten Wahlgang noch vor Van der Bellen. Nach zwei Anläufen im zweiten Wahlgang (einer musste aus formalen Gründen wiederholt werden), war es dann umgekehrt.

Es dürfte diesmal ein eher ungleiches Rennen werden - so, wie das schon Frank-Walter Steinmeier in Deutschland vorgemacht hat, der ja auch von vornherein als gesetzt galt. Die Ankündigung, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, verband der ehemalige Wirtschaftsprofessor und Grünen-Chef Van der Bellen mit dem Versprechen, er werde keine Ressourcen des Präsidialamts in den kurzen Wahlkampf stecken. Und mit der etwas schlitzohrigen Bemerkung, in dem Job müsse man "Überraschungen lieben". Wohl wahr: Van der Bellen hatte in den vergangenen knapp fünfeinhalb Jahren mehrere Regierungswechsel, mehrere Kanzlerwechsel, eine Expertenregierung und fast 60 Vereidigungen zu erledigen.

"So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht."

Österreich ging durch politisch turbulente Zeiten, und Van der Bellen begleitete das mit einer Mischung aus Humor, Ausgeruhtheit und Erklärlust: legendär seine Ansprache nach dem Knall des Ibiza-Videos, als er sagte: "So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht." Oder als er, im Trubel des Rücktritts von Kanzler Sebastian Kurz, eine Erklärung mit dem Satz begann: "Sie fragen sich in diesen Stunden wahrscheinlich, was ist denn jetzt schon wieder passiert?"

Am Montagmorgen teilte der Präsident nach seinem ersten Aufschlag im Internet dann auch persönlich, wenngleich eher verklausuliert, mit, warum er noch einmal antreten wolle. Er fühle sich verpflichtet, in der "aktuellen schwierigen Situation" das Seinige dazu beizutragen, "dass wir insgesamt wieder auf den richtigen Weg kommen". Dafür sei er heute auch besser gerüstet als noch vor fünf Jahren, als er "vergleichsweise ein junger Hupfer war".

Zwar hatten alle Präsidenten in Österreich - bis auf Kurt Waldheim und zwei im Amt verstorbene Staatschefs - erneut kandidiert. Van der Bellen wäre in seiner zweiten Amtsperiode gleichwohl einer der ältesten. Aber das ist nicht das einzige Argument, warum ihm auch Kritik entgegenschlägt. Viele einstige Anhänger werfen ihm vor, dass er sich zu den politischen Krisen und Korruptionsskandalen, die das Land beuteln, zu wenig geäußert und sein Amt insgesamt zu zurückhaltend ausgelegt hat. Im Netz kursieren daher auch viele Stimmen, die lauten: "Meine Stimme kriegen Sie nicht - mehr."

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