In Deutschland heißt es Frühjahrsputz, in Österreich Ausmisten. Wenn man sich dann durch die über Jahre aufeinandergestapelten alten Zeitungen wühlt, ist das eine Zeitreise. Plötzlich springt die Schlagzeile auf der Titelseite des Standard vom 19. Dezember 2001 ins Auge: "Empörung über Angriffe Haiders auf Höchstrichter". Vorausgegangen waren am Vortag heftige Attacken des damaligen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider auf den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich.
Der Chef der damals schon fremdenfeindlichen FPÖ wollte eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nicht akzeptieren, wonach es in Kärnten in jenen Orten, in denen der Anteil der slowenischen Minderheit mindestens zehn Prozent beträgt, zweisprachige Ortstafeln geben müsse. Seine Attacken gegen das Höchstgericht und seinen Präsidenten gipfelten in einem Satz, den jeder und jede, der sich mit Österreichs Politik beschäftigt, kennt: "Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich erst einmal fragen, ob er überhaupt eine aufrechte Aufenthaltsberechtigung hat."
Kanzler Kurz geht geschickter vor als der frühere FPÖ-Chef Haider
Interessant ist die Unterzeile des Aufmachers auf der Titelseite: "Schüssel kritisiert Kärntner Landeshauptmann und lobt Richter Adamovich". Das ist der Unterschied zur Situation heute: Der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat das Höchstgericht vor Angriffen in Schutz genommen, sein ÖVP-Nachfolger Sebastian Kurz und seine Parteifreunde attackieren die Justiz fast tagtäglich. Sie pfeifen auf den Verfassungsgerichtshof und seine Entscheidungen. Das zeigen die Weigerungen von Kurz und Finanzminister Gernot Blümel, Akten für den Ibiza-Untersuchungsausschuss herauszugeben, und die verächtlichen Aussagen des Bundeskanzlers über die "juristischen Spitzfindigkeiten".
Der gemeinhin betont höflich auftretende Kurz geht dabei geschickter vor als Haider mit seiner Brachialrhetorik. Aber das Ziel ist das gleiche: das Vertrauen in eine der zentralen Institutionen des Rechtsstaats zu untergraben - die Politik stellt sich über das Recht. Es hat politisch auch mehr Gewicht, ob ein Landespolitiker wie Haider oder der Regierungschef eines Staates ein derart problematisches Verständnis der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Judikative und Legislative zeigt.
Dass es mit der strikten Trennung, wie so oft, in Österreich nicht so ernst genommen wird, zeigte 2018 der unmittelbare Wechsel vom damaligen Justizminister und Kurzzeit-Vizekanzler Wolfgang Brandstetter als Richter an den Verfassungsgerichtshof. Damals wurden Rufe nach einer "Abkühlphase" laut mit der Begründung, dass der VfGH auch über Projekte der Regierung entscheide: "Dass ein enger Vertrauter des ÖVP-Chefs hier neutral entscheiden wird, kann und wird bezweifelt werden", schrieb Günther Oswald dazu im Standard. "Mit der Bestellung von Wolfgang Brandstetter läuft die Regierung nun aber Gefahr, den Ruf des VfGH zu beschädigen."
Wie recht er doch hatte, zeigt sich in diesen Tagen: Es wurden Chats zwischen Brandstetter und Christian Pilnacek, dem bis vor Kurzem mächtigen Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium, bekannt. Darin mokieren sie sich mehrfach über Entscheidungen des Höchstgerichts. Pilnacek kommt zum Schluss, dass man "einem vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat nicht mehr dienen kann". Brandstetter widerspricht nicht.
Damit nicht genug: Pilnacek regte, von Brandstetters Kampfruf "Venceremos" (Wir werden siegen) angetrieben, an: "Exportieren wir den VfGH nach Kuba." Dort wären sie "stolz auf die Vize, und Kahr gebe eine gute Müllfrau ab." Mit Kahr ist die Verfassungsrichterin Claudia Kahr gemeint, und Vizepräsidentin ist Verena Madner, deren Vater aus Westafrika stammt. Das sind unfassbare rassistische und frauenfeindliche Äußerungen und Entgleisungen. Folgerichtig kam Brandstetter zum Schluss, dass er "dem VfGH am besten dienen kann, indem ich mich von dieser Funktion zurückziehe".
Die Chats zeigen die offene Verachtung von Institutionen der Demokratie
Allerdings legt Brandstetter Wert auf die Feststellung, dass dies eine Unterhaltung "unter Freunden" gewesen war und man da schon mal eine "nicht ganz korrekte Bemerkung" machen könne. Diese Chats, über die Cathrin Kahlweit schon mehrfach geschrieben hat, zeigen jedoch der Öffentlichkeit, was unter Kurz und seinen Getreuen verbreitet ist: die offene Verachtung von Institutionen der Demokratie mit dem Anspruch: Wir werden siegen! Das ist auch der Unterschied zu Kurz' ÖVP-Vorgänger Wolfgang Schüssel, der als Erster eine Koalition mit der FPÖ eingegangen ist.
Die Präsidentin und die Präsidenten aller vier Oberlandesgerichte haben am Freitag einen Brandbrief geschrieben, in dem sie sich gegen die Herabwürdigung der Justiz zur Wehr setzen - das ist ein bemerkenswerter Aufschrei, ein noch nie dagewesener Vorgang.
Von Jörg Haider stammt auch jener Satz, an den sich auch noch alle am politischen Geschehen interessierten Menschen in Österreich erinnern: "Ich verspreche euch, ich werde ausmisten in diesem Land!" Jetzt sind die Ausmister am Werk.
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