Süddeutsche Zeitung

Österreich:Geflüchtet auf den Gaisberg

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Die Zivilgesellschaft zeigt gerade viel Engagement - zum Beispiel in einem Gasthof bei Salzburg, der zwei ukrainische Großfamilien aufnahm.

Kolumne von Vinzent-Vitus Leitgeb

Es gibt einen Ort, an dem sehr viel zusammenkommt, wofür Österreich steht: der Gasthof Mitteregg, am Gaisberg, 20 Minuten Autofahrt vom Salzburger Stadtkern entfernt. Fotos an den Wänden zeigen prominente Festspielgäste und Schauspieler. Es gibt Kasnocken, und den Stammtisch, an dem sich der Schützenverein trifft. Von der Terrasse schaut man in die Alpen und erkennt einen Gipfel, der zum nächstgelegenen Skigebiet gehört.

Als ich vor eineinhalb Wochen da war, standen auf dem Mitteregg-Parkplatz dann auf einmal die drei Autos. Pkw mit ukrainischen Kennzeichen, vollgepackt mit Taschen und Koffern.

Klar: Auch in Österreich kommen derzeit immer mehr Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet an. Dem Innenministerium zufolge waren inzwischen schon mehr als 200 000 Menschen da. 80 Prozent seien in andere Länder weitergereist, mehrere Zehntausend wollen demnach aber in Österreich bleiben. Und trotzdem überraschten mich die Autos gerade am Berggasthof dann irgendwie doch.

Die Geschichte, so hat es mir Jan Pasajan, der Pächter des Gasthofs, erzählt, begann auf einer Autobahnraststätte zwischen Wien und Salzburg. Dort habe er die Pkw zum ersten Mal bemerkt. Sie gehören zwei Großfamilien - vier Erwachsene, 19 Kinder -, die drei Tage vorher aus der Nähe von Kiew geflüchtet waren. Pasajan bot ihnen direkt seine Gästezimmer an. Erst für eine Nacht, um ihnen am Tag darauf bei der offiziellen Registrierung zu helfen. Dann für einige Nächte mehr, weil die angebotenen Notunterkünfte für eine Gruppe mit so vielen Kindern nicht ideal waren. Er recherchierte wichtige Informationen und half, kurz gesagt, wo er konnte.

Es ist eine Geschichte, an diesem sehr österreichischen Ort, für die das Land auch in den kommenden Monaten hoffentlich weiter steht.

Im Moment ist die Hilfsbereitschaft an allen Stellen groß. Pasajan bekam etwa schnell selbst Unterstützung aus seinem Umfeld - Spenden, Kleidung oder Spielzeug. Auch sonst bieten Menschen täglich Unterkünfte an. Mitte März sollen es schon etwa 30 000 kostenlose Quartiere gewesen sein. Dazu kommen Initiativen wie die des Hoteliers und früheren Nationalratsabgeordneten Sepp Schellhorn (Neos), der eine Plattform gestartet hat, auf der Hotels in ganz Europa freie Zimmer melden können. Doch dieses zivilgesellschaftliche Engagement muss in den kommenden Wochen dringend ausreichend von staatlicher Seite unterstützt werden, damit es nicht in Frust umschlägt. Denn es werden noch mehr Menschen kommen.

Immerhin: Die Bundesregierung schuf zuletzt einige wichtige Grundlagen, damit Geflüchtete schnell arbeiten können, höhere Grundsicherung bekommen oder medizinische Hilfe. Selbst wenn vieles noch offen ist, war das ein wichtiger Anfang.

Die beiden Großfamilien am Mitteregg profitieren sicher auch davon. Mitte dieser Woche hat Pasajan sogar noch eine dauerhafte Unterkunft gefunden. Glück gehabt, schreibt er per SMS. Und: "Ich fahre morgen wieder hin."

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