Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Trauriger Spitzenreiter

In Österreich wurden dieses Jahr schon elf Frauen getötet. EU-weit ein Rekord. Dabei galt das Land sehr lange als fortschrittlich, was den Schutz von Frauen betrifft.

Von Verena Mayer

Wenn das kleine Österreich ein internationales Ranking anführt, hat das oft erfreuliche Gründe. Weil es die meisten Medaillen im Skisport errungen hat oder seine Hauptstadt als eine der lebenswertesten Metropolen der Welt gilt. Doch Österreich liegt derzeit in einer tragischen Statistik auf dem ersten Platz: Es ist das einzige EU-Land, in dem es mehr Morde an Frauen als an Männern gibt. Der aktuellsten Eurostat-Erhebung zufolge waren im Jahr 2017 von 48 Mordopfern 27 weiblich.

Wer sich ein wenig mit Kriminalstatistiken auskennt, weiß, wie ungewöhnlich das ist. Männer sind nicht nur überproportional häufiger Täter, sondern eben auch Opfer von Gewaltverbrechen, EU-weit sind 65 Prozent der Getöteten männlich. Anders in Österreich: Bereits in den Jahren 2015 und 2016 war die Zahl der Frauen, die ermordet wurden, weitaus höher als die der Männer.

Erst vergangene Woche machten die Schüsse auf eine 35-jährige Frau und zweifache Mutter in einem Wiener Gemeindebau Schlagzeilen. Weil der mutmaßliche Täter der sogenannte Bierwirt war, jener Mann, der 2018 der Grünen-Politikerin Sigrid Maurer erst auf Facebook frauenfeindliche Hassnachrichten geschrieben haben soll, und sie verklagte, nachdem sie die Botschaften öffentlich gemacht hatte. Lesen Sie mehr dazu hier.

Vor allem aber erregte das Verbrechen Aufmerksamkeit, weil dies bereits der neunte Femizid in diesem Jahr war, also eine Gewalttat gegen Frauen oder Mädchen wegen ihres Geschlechts. Nur wenige Wochen zuvor starb eine Trafikantin, die an ihrer Arbeitsstelle von ihrem Ex-Partner mit Benzin übergossen und angezündet worden war. Und während ich diesen Newsletter schreibe, lese ich, dass in der Nacht auf Donnerstag in Salzburg zwei weitere Frauen getötet wurden - eine 50-Jährige und ihre Mutter wurden vom Lebensgefährten der Frau erschossen, weil diese sich von ihm trennen wollte.

Viele fragen sich, wie es so weit kommen konnte

Nun wird in Österreich über Femizide diskutiert und darüber, wie man Frauen besser schützen kann. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker, vom Bundespräsidenten über den Bundeskanzler bis zu den Frauen-Sprecherinnen der Parteien, haben sich mit verschiedenen Vorschlägen dazu geäußert. Der Schriftsteller Gerhard Ruiss hat die Initiative "Frauenmorde - Es geht uns alle an" gegründet, Hunderte Kulturschaffende haben sich angeschlossen, unter ihnen die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz und die Schauspielerin und Autorin Erika Pluhar. Zu oft sei das Thema in den Ressorts der Politik versandet, sagte Ruiss in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, jetzt müsse die gesamte Gesellschaft darauf aufmerksam gemacht werden.

Viele fragen sich nun, wie es so weit kommen konnte. Ruiss glaubt, es liege daran, dass man sich in Österreich bei Problemen gerne wegducke. Tatsache ist auch, dass Frauenhäuser und Gewaltschutzprojekte chronisch unterfinanziert sind und unter der türkis-blauen Regierung 2018 ein wichtiges Instrument zur Prävention gekappt wurde: die sogenannten Fallkonferenzen. Dabei haben sich Expertinnen regelmäßig mit der Polizei beraten, wie groß die Gefahr ist, die von bestimmten Tätern ausgeht, und wie man mit ihnen weiter verfährt. Solche Informationen zwischen Polizei, Justiz und Interventionsstellen auszutauschen ist klug, da viele Femizide nach einer langen Vorgeschichte von Übergriffen und häuslicher Gewalt passieren und die Täter den Behörden meistens über Jahre bekannt sind. Doch das Innenministerium entschied damals, dass die Polizei an diesen Treffen nicht mehr teilnimmt.

Frauenschutzorganisationen klagen zudem seit Langem darüber, wie die Behörden mit häuslicher Gewalt umgehen. Frauen, die Übergriffe anzeigen, würden oft nicht ernst genommen, während Männer mit Verständnis rechnen dürften.

Mir fällt dazu der Podcast "Der Mörder und meine Cousine" ein, in dem der Schauspieler Burchard Dabinnus den Fall seiner 63-jährigen Cousine Saskia S. rekonstruiert, die 2013 von ihrem Partner erstochen wurde. Dabinnus fand heraus, dass der Mann über Jahrzehnte schwerste Gewalttaten an Frauen beging, unter anderem in Wien, wo er in den Achtzigerjahren seine damalige Freundin erschossen hatte. Sein damaliger Verteidiger, der Wiener Promi-Anwalt Herbert Eichenseder, kommt im Podcast ebenfalls zu Wort. Das Verfahren ist zwar lange her, Eichenseders Sichtweise auf damals scheint mir aber bezeichnend zu sein für eine bestimmte Haltung gegenüber Frauen, die Opfer ihrer Partner, Ex-Freunde oder Ehemänner werden. Eichenseder sagt, die Frau, "eine bildhübsche Frau mit einem Riesenbusen und einem Riesenausschnitt" hätte den Täter (der sie zuvor bereits mehrmals attackiert, vergewaltigt und ihre Wohnung zertrümmert hatte) "provoziert". Das habe auch der Richter damals so gesehen: Die Frau habe es dem Mann "gegeben", "und das hat er nicht verkraftet."

Frauenministerin Johanna Dohnal setzte sich für eine der ehrgeizigsten Reformen ein

Dabei war das in Österreich nicht immer so, im Gegenteil. Das kleine Land galt sehr lange als fortschrittlich, was den Schutz von Frauen betrifft. Bereits 1989 wurde die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt (in Deutschland passierte das erst 1997). 1993 setzte die damalige SPÖ-Frauenministerin Johanna Dohnal, eine der engagiertesten Frauenpolitikerinnen der österreichischen Nachkriegsgeschichte, das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz durch, das Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verbietet. Und 1997 trat dann eines der ehrgeizigsten Reformprojekte zur Eindämmung häuslicher Gewalt in Kraft, das Gewaltschutzpaket. Es sah Interventionsstellen zur Prävention vor und die Wegweisung, also dass ein Mann, der einer Frau oder Kindern Gewalt antut, von der Polizei sofort aus der eigenen Wohnung entfernt werden kann. Österreich war das erste Land in Europa, das ein solches Gesetz erließ.

Es wird Zeit, dass Österreich wieder in solchen Rankings landet.

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