NSU:Der vierte Mann

In einem neuen Prozess könnte der Vertraute des Terrortrios doch noch zur Verantwortung gezogen werden. Es ist der Versuch der Bundesanwaltschaft, späte Gerechtigkeit herzustellen - und dringend nötig, um mit einem finsteren Kapitel abschließen zu können.

Von Annette Ramelsberger

Die schlimmste Enttäuschung nach fünf Jahren NSU-Prozess war nicht, dass viel zu wenig über die Hintergründe der Terrorzelle bekannt wurde oder dass Helfer davonkamen, weil ihre Taten verjährt waren. Am schlimmsten für die Familien der Opfer war, dass ausgerechnet der Angeklagte als freier Mann aus dem Gerichtssaal ging, der all die Jahre nur gegrinst und geschwiegen hatte. Ein Mann, der sich einen "Nationalsozialisten mit Haut und Haaren" nennt.

André E., der engste Vertraute des Terrortrios, wird von der Bundesanwaltschaft als der vierte Mann des NSU betrachtet. Sie will nun in einem neuen Prozess durchsetzen, dass dieser Mann doch noch in Haft kommt. Es ist ein Versuch, späte Gerechtigkeit herzustellen. Doch Recht ist nicht Gerechtigkeit. Es ist immer nur eine Annäherung. Das hat man im NSU-Prozess gesehen, das sieht man heute auch im Prozess wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Auch dort sitzt ein Angeklagter, der nur grinst und schweigt. Auch er hat gute Chancen davonzukommen. Das ist bitter für die Familie des Opfers und fast wie ein Déjà-vu für jene, die das NSU-Verfahren erlebt haben.

Die Bundesanwaltschaft hätte sich nach fünf Jahren NSU-Prozess erschöpft mit dem Urteil zufriedengeben können. Sie tut es nicht. Dabei ist ein neuer Prozess nichts, was man sich herbeisehnt. Aber er könnte nötig sein, um das Kapitel NSU zu schließen und ein wenig die Bitterkeit zu vertreiben.

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