Nord Stream 2:Merkel hat sich selbst betrogen

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Moskauer Kreml im Januar 2020.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Moskauer Kreml im Januar 2020.

(Foto: REUTERS)

Die Kanzlerin hätte es wissen müssen: Die Pipeline stärkt Putin, verärgert die USA und macht Deutschlands Russlandpolitik unglaubwürdig. So gesehen ist das Projekt schon jetzt eine Investitionsruine.

Kommentar von Daniel Brössler

Angela Merkel gilt gemeinhin als ehrliche Haut. International wird die Bundeskanzlerin geschätzt, weil sie zwar nicht alles sagt, was sie meint, aber in der Regel meint, was sie sagt. Auf diese Weise ist Merkel womöglich ein Opfer ihrer selbst geworden. Als sie dem Bau der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ihren Segen gab, erklärte sie ihn zu einem rein privatwirtschaftlichen Projekt. Dabei ging es Merkel in erster Linie darum, das Vorhaben in seinen außenpolitischen Folgen für kalkulierbar zu erklären. Auch vor sich selbst.

Ob es den Gegnern der Leitung gelingt, sie noch auf den letzten Baumetern zu stoppen, ist noch nicht ausgemacht. Schon jetzt aber ist klar, dass der politische Preis des Projekts in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zum angeblichen wirtschaftlichen Nutzen steht, zumal sehr zweifelhaft ist, ob das zusätzliche Gas überhaupt gebraucht wird. Bezahlt wird in einer Währung namens Glaubwürdigkeit.

Das gilt vor allem in der Russlandpolitik: Sehr zu Recht kritisiert die Bundesregierung die Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny, dessen willkürliche Verhaftung und Verurteilung sowie die Verfolgung seiner Anhänger. Der Wert dieser Kritik sinkt aber in dem Maße, in dem die Bundesregierung versucht, Nord Stream 2 in eine Parallelwirklichkeit zu verlegen, die nichts mit dem zu tun hat, was im Russland des Wladimir Putin vorgeht.

Öl und Gas halten Putins Apparat in Bewegung

Als Teil des Gazprom-Imperiums gehört Nord Stream 2 zum russischen Machtapparat. Öl und Gas halten diesen Apparat in Bewegung, weshalb 2014 beschlossene Sanktionen gegen die von Russland verantwortete Gewalt im Osten der Ukraine auch auf diesen Sektor zielten. Nord Stream 2 stärkt Putins System, weshalb das deutsche Festhalten an der Pipeline von größter Wichtigkeit ist für den Kreml. Die saubere Röhre ist eine Fiktion. Merkel weiß zu viel über das System Putin, um sich darüber etwas vormachen zu können.

Der Ukraine gegenüber hat Merkel das auch längst eingestanden. Hauptzweck der Pipeline aus russischer Sicht war von Anfang an, die Ukraine als Transitland entbehrlich zu machen. Um das abzumildern, setzte die Kanzlerin durch, dass Russland sich vertraglich verpflichtet, das ukrainische Netz weiterhin zu nutzen. Ausgerechnet die Ukraine, von Putin um einen Teil ihres Staatsgebietes beraubt, soll nun also auf russische Vertragstreue bauen. Merkel, die von Putin schon persönlich belogen wurde, weiß, was sie da verlangt.

Was die Bundeskanzlerin unterschätzt hat, war wohl auch nie wirklich die Wirkung der Pipeline, sondern der Widerstand gegen sie. Richtig lag sie nur in der Annahme, dass es nicht gelingen würde, gegen den deutschen Einfluss die Europäische Union auf den Plan zu rufen. Völlig falsch und fahrlässig aber war der Glaube, dass die USA schon nicht Ernst machen würden mit Sanktionen. Nun steht die Bundesregierung vor einem doppelten Desaster. Zum einen könnte Nord Stream 2 zur teuersten Röhre ins Nirgendwo der Geschichte werden. Zum anderen vermiest der Streit den herbeigesehnten Neuanfang mit den USA unter Präsident Joe Biden.

Biden liegt das Schicksal der Ukraine tatsächlich am Herzen

Zwar wird es einfacher werden, mit der US-Regierung über Nord Stream 2 zu reden, weil nun über alles vernünftiger gesprochen werden kann. Nicht garantiert aber ist, dass es leichter werden wird, eine Einigung zu finden, zumal Republikaner und Demokraten in dieser Frage in seltener Eintracht kooperieren. Die Überlegungen in Berlin konzentrieren sich bislang darauf, die USA durch eine verstärkte Abnahme ihres Fracking-Gases milde zu stimmen. Allerdings ist das doch eher ein Deal nach dem Geschmack von Donald Trump. Die Bundesregierung sollte sich darauf einstellen, dass Biden das Schicksal der Ukraine tatsächlich am Herzen liegt.

Deutschland kann die von den USA bereits verhängten und noch angedrohten Sanktionen nun zwar mit schlüssigen völkerrechtlichen Argumenten ablehnen; es hat aber praktisch kein Mittel gegen sie. Jeder Zulieferer, jeder Versicherer und jeder Zertifizierer wird sich überlegen, ob er den Ärger mit den USA riskiert. Das weiß natürlich auch Manuela Schwesig, die sich nun mit ihrer von Gazprom finanzierten Umweltstiftung als Kämpferin gegen die amerikanische Übermacht inszeniert. Das kommt bei den Bürgern in Mecklenburg-Vorpommern bestens an. Beim Versuch aber, die Sanktionen zu umgehen, wird die Stiftung vermutlich wenig ausrichten.

Wer den Schaden trägt, wenn die Pipeline tatsächlich stecken bleibt, ist noch nicht klar. Die Bundesregierung wird aufpassen müssen, dass es am Ende nicht in Form von Schadenersatz den deutschen Steuerzahler trifft. Politisch betrachtet ist Nord Stream 2 schon jetzt eine riesige Investitionsruine. Gerade die Kanzlerin hätte das besser wissen können und müssen. Sie hat sich gewissermaßen selbst übers Ohr gehauen. Dieser Selbstbetrug rächt sich nun.

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