Nordrhein-Westfalen:Noch sieben Monate Zeit für Wüst

Hendrik Wuest is sworn in as State Premier of NRW in Duesseldorf

Er muss den Aufbruch wagen: Hendrik Wüst ist neuer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

(Foto: REUTERS)

Er übernimmt in NRW ein solides Erbe von Armin Laschet. Aber wenn Hendrik Wüst einfach solide weitermacht, wird er bei der Landtagswahl im Mai 2022 ohne Chance sein.

Kommentar von Christian Wernicke

Nun also ist er das Gesicht des Westens. Hendrik Wüst hat es geschafft: Der Düsseldorfer Landtag hat den Mann aus dem Münsterland am Mittwochnachmittag zum Ministerpräsidenten gewählt, sogar mit drei Stimmen mehr als nötig. Er steht ganz vorne - im Land, in der CDU, und auch in der Republik; das ist nun mal so, wenn man das bevölkerungsreichste Bundesland regiert. Nur gilt schon jetzt: Würde der Neue einfach weitermachen wie der Alte, würde er seine CDU im Mai kommenden Jahres in ein Desaster führen, ähnlich wie Armin Laschet soeben im Bund. Er ginge in die Landesgeschichte ein als der Regierungschef mit der kürzesten Amtszeit von allen, als Episode.

In nur sieben Monaten nämlich lauern Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Zwar hat das Kabinett Laschet, das Wüst nun fast unverändert übernimmt, durchaus Erfolge erzielt: Die Kriminalität sinkt, NRW hat aufgeholt bei Wachstum und Jobs. Im Westen werden mehr Straßen repariert und mehr neue Radwege gebaut als je zuvor, die liberale Ausländerpolitik avanciert zum Entwurf für die Ampel im Bund. Armin, der Landesvater, hat zu Hause mehr erreicht, als Laschet, der bundesweit verhöhnte Kanzlerkandidat, ahnen lässt.

Eigentlich waren die Leute mit Laschet lange Zeit zufrieden

Doch dieses Erbe ist nun vergiftet. Als Aspirant für Höheres hat Laschet das Image seiner gesamten Landesregierung in den Abgrund getrieben. Dürften die NRW-Bürger schon jetzt wählen, so würde laut WDR-Umfrage Schwarz-Gelb aus dem Amt gejagt- und Rot-Grün kehrte (nach nur fünf Jahren Opposition) zurück in die Ministerien. Zur Erinnerung: Noch vor 18 Monaten waren 65 Prozent der Befragten zufrieden mit Laschet. Heute jedoch deutet jeder zweite Rheinländer und Westfale sein Erbe negativ.

Vieles kann sich bis Mai noch ändern. Die NRW-SPD, lange Jahre gebrechlich, fühlt sich momentan wie Lazarus: Olaf Scholz hat ihr neues Leben eingehaucht. Aber niemand weiß, ob Thomas Kutschaty, der noch weithin unbekannte Partei- und Fraktionschef, die Sozialdemokraten tatsächlich zum Sieg zu führen vermag. Viele der Schwächen, die NRW plagen, werden zu Recht auch Roten und Grünen angekreidet.

Alles bleibt also offen. Auch für Wüst. Er muss nun zeigen, dass der Generationswechsel vom 60-jährigen Laschet zu ihm, dem 46-Jährigen, auch Wandel bedeutet. "Maß und Mitte," das Motto seines stets moderierenden Vorgängers, passt eh nicht zum schneidigen, früher oft schneidenden Stil von Wüst. Der Mann nach Laschet muss eigene Akzente setzen - fürs eigene Profil, zum Wohl des Landes. Drei Beispiele.

Drei große Themen: Wiederaufbau, Klimaschutz, Bildung

Ein Signal für einen solchen Neuanfang benötigen dringend Tausende Menschen, die im Sommer von der Flut heimgesucht wurden. Geld (aus Berlin) ist genug da. Aber der Wiederaufbau kommt nur langsam voran, weil in den Rathäusern der verwüsteten Städte und in mancher Landesbehörde schlicht das Personal für Hilfsanträge und Baugenehmigungen fehlt. Oder weil inmitten der Zerstörung jene Gesetze fortgelten, die schon in einer heilen Welt Planungen verzögern, Investitionen blockieren. Wüst, bisher Minister für Verkehr und Infrastruktur, kennt dieses Dickicht. Er könnte aufrütteln, per Aufruf (und Prämien) Hunderte Verwaltungsexperten zum Solidareinsatz antreiben - und anordnen, allzu perfektionistische Landesregeln zeitweise auszusetzen.

Anderes bräuchte mehr Zeit - wäre aber ebenso ein Zeichen der Umkehr. Beispiel Klimaschutz. In NRW graben Braunkohlebagger kaum hundert Meter entfernt von Dörfern, das fossile Kraftwerk Datteln IV brummt 500 Meter entfernt von Wohnhäusern. Den Neubau von Windrädern jedoch bremst die schwarz-gelbe Regierung aus, indem sie einen Kilometer Mindestabstand zu jeder Siedlung verlangt. Man muss kein Grüner sein, um da schwarzzusehen: Dieser Kurs versperrt dem Industrieland NRW den Zugang zu preiswertem Ökostrom - und zu einem früheren Kohleausstieg.

Noch mutiger wäre es, Wüst würde sich erinnern, was ihn vor dreißig Jahren mal in die Politik trieb: Den damaligen Schüler ärgerte, wie Freunde aus Bayern über das vermeintlich minderwertige NRW-Abitur und miese Bildung lästerten. Zumal im Ruhrgebiet sind viele Schulgebäude heute heruntergekommen, vor allem für die Jüngsten fehlen Tausende Lehrer. Nicht Fleiß und Intelligenz der Schüler, sondern Herkunft und Wohnadresse entscheiden massenhaft über Lebenschancen. Das ist Klassen-Bildung. Und nach wie vor ist NRW das Bundesland, das pro Kopf am wenigstens in die Schulbildung seiner Kinder investiert. Das endlich zu ändern, ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit - sondern nötig, um die wirtschaftliche Zukunft und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu wahren.

Wiederaufbau, Klimaschutz, Bildung: Drei Exempel, wo Hendrik Wüst mehr Ambition beweisen kann, als er dies als solider Minister bisher unter Laschet offenbaren durfte. Er wird größer denken, mehr Aufbruch wagen müssen - oder im Mai kleinlaut beiseitetreten.

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