Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Grüne Schale - schwarzer Kern

Nordrhein-Westfalens CDU und Grüne haben sich auf Eckpunkte einer künftigen Regierung verständigt. Der Inhalt ist schwärzer als erwartet.

Kommentar von Christian Wernicke

Das ging schnell. Nur zwölf Tage nach der Landtagswahl haben Nordrhein-Westfalens CDU und Grüne sich auf die Eckpunkte einer künftigen Regierung verständigt. In Düsseldorf kursiert bereits das Wort von der "Avocado-Koalition" - außen schwarz, innen grün. Nun, da seit der Nacht zum Samstag das Ergebnis der Sondierungen beider Parteien vorliegt, müssen sich politische Botaniker wohl eine neue Frucht suchen, um die absehbaren Machtverhältnisse im Westen zu beschreiben. Die schwarze Sapote bietet sich an, die Frucht eines mittelamerikanischen Laubbaums: Außen grün, innen schwarz wie Schokoladenpuddings. So übrigens schmeckt sie auch.

Auf den ersten Blick haben die Grünen einiges durchgesetzt. NRW soll, so zitiert das zwölfseitige Papier eine Wahlkampf-Forderung der grünen Spitzenkandidatin Mona Neubaur, nun "zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas" reifen.

Mindestens eintausend zusätzliche Windräder sollen zwischen Rhein und Weser in den nächsten fünf Jahren entstehen. Der pauschale Mindestabstand zur Wohnbebauung, der neue Rotoren bisher blockierte, entfällt. Da hat die CDU nachgegeben, die Rufe der Wirtschaft nach mehr grünem Strom und die Abhängigkeit von Putins Gaslieferungen beschleunigten das Umdenken. Und auch bei der Solarenergie geht's voran, wenn auch weniger verbindlich: Fortan sollen "sämtliche für Photovoltaik geeignete Flächen" genutzt werden, auch entlang von Autobahnen und Landstraßen. Die präzisere grüne Forderung, auf "alle geeigneten Dächer" Solarpanels zu schrauben, taucht nicht mehr auf.

Für Radwege soll mindestens genauso viel Geld fließen wie für Landstraßen

Festgeschrieben wird auch der Ausstieg aus der Kohle. Das hatte Hendrik Wüst, der CDU-Ministerpräsident, den Grünen bereits vor der Wahl vom 15. Mai zugesagt. Die Dörfer am Rande des Braunkohle-Tagebaus von Garzweiler II nahe Mönchengladbach sollen bleiben. Nur der Weiler Lützerath, wo hunderte Klimaaktivisten in einem Camp die Schaufelradbagger blockieren, wird wohl noch fallen.

In dem Papier finden sich noch weitere grüne Trophäen. So soll das Mindestalter zur Teilnahme an Landtagswahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden - eine Idee, die bisher stets am Widerstand der NRW-CDU scheiterte. Neues findet sich ebenso im Kapitel zur Mobilität: Beim Straßenbau soll die Sanierung alter Brücken und die Sanierung löchrigen Asphalts klar Vorrang haben vor der Konstruktion neuer Straßen. Für Radwege werde mindestens genauso viel Geld fließen wie für Landstraßen. Busse und Bahnen sollen nicht nur billiger werden, sondern auch öfter fahren. Die grüne Idee, Dörfer und Kleinstädte mit einem neuen Schnellbus-Netz zu verbinden, hatte die CDU bereits im Wahlkampf geklaut. Kein Wunder also, dass sie nun zum schwarz-grünen Konsens zählt.

Auf vielen anderen Feldern hingegen sind grüne Ideen zwar angedeutet - aber immer wieder eingehegt in Formeln, die deren Umsetzung relativieren. Der grüne "Pakt gegen Kinderarmut" wird zwar zitiert - aber dabei sollen "bestehende Programme" für Familien und Kinder vor allem "besser zugänglich" werden. Ob die Mietpreisbremse demnächst wieder in deutlich mehr NRW-Städten gilt als unter der bisherigen schwarz-gelben Regierung, bleibt abzuwarten. Ob etwa Kita-Gebühren abgeschafft werden, bleibt offen. Das sind Streitpunkte, über die sich die Partner in spe erst noch in detailreichen Koalitionsverhandlungen verständigen müssen.

Und manches bleibt ziemlich beim Alten. In der Schulpolitik wird es keine Wende geben. Förderschulen bleiben, für Lehranstalten in sozialen Brennpunkten soll es mehr Geld geben. 10 000 Lehrer will man zusätzlich einstellen - wo die herkommen sollen, weiß niemand so genau.

Manche Konflikte werden nicht mal erwähnt

Und auch im Bereich Innere Sicherheit wird sich wenig ändern. Grüne und Schwarze bestätigen im Wesentlichen den Kurs des bisherigen Innenministers Herbert Reul (CDU), der sein Amt behalten dürfte. Alte Konflikte wie der Einsatz von Elektroschock-Pistolen ("Tasern") in der Polizei oder die medial spektakulären Razzien gegen kriminelle Clans erwähnt das Kompromisspapier nicht mal. Das mag auch damit zu tun haben, dass Nach-Wahlanalysen offenbarten: Auch grüne Wähler sind mehrheitlich für Taser-Pistolen.

Das umstrittene (und von den Grünen abgelehnte) NRW-Versammlungsgesetz soll vorerst nicht angetastet werden: Stattdessen wird es nun "wissenschaftlich evaluiert", bis Ende 2023. Als kleinen Erfolg können die Grünen nur verbuchen, dass künftig ein unabhängiger Polizeibeauftragter Bürgerbeschwerden über mutmaßliche Übergriffe der Ordnungshüter nachgehen darf.

Nein, eine Wende, gar eine grüne Revolution an Rhein und Ruhr ist das alles nicht. Das war auch nicht zu erwarten, schließlich gewann die CDU bei der Landtagswahl mit 35,7 Prozent fast zweimal so viele Stimmen wie die Grünen (18,2). Die Grünen haben wichtige Korrekturen für eine moderne, nachhaltige Erneuerung des alten Industrielandes erreicht. Immerhin. Aber vieles bleibt, wie es war vor dem 15. Mai. Also eher schwarz, wie das Fruchtfleisch der Sapote.

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