Profil:Nikole Hannah-Jones

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(Foto: John Minchillo/AP Photo)

US-Journalistin und Professorin, umworben als intellektuelle Leitfigur.

Von Christian Zaschke

Es ist nicht so, dass die Journalistin Nikole Hannah-Jones in den USA eine Unbekannte gewesen wäre. Unter anderem zeichnete sie für das wegweisende "1619 Project" der New York Times verantwortlich, das vor zwei Jahren den Beginn der Sklaverei umfassend aufarbeitete. Benannt ist es nach dem Jahr, in dem erstmals Menschen aus Afrika als Sklaven nach Nordamerika gebracht wurden. Für ihre Arbeit an dem Projekt wurde Hannah-Jones mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Seit einigen Tagen ist der Grad ihrer Bekanntheit in intellektuellen Kreisen und darüber hinaus aber noch einmal sprunghaft gestiegen, was an einer, wenn man so will, doppelten Zurückweisung liegt. Zunächst hatte ihr die University of North Carolina (UNC), ihre Alma Mater, vor einigen Wochen einen Lehrstuhl für Journalismus angeboten, dann jedoch entschieden, ihr lediglich einen befristeten Vertrag über fünf Jahre zu gewähren. Ihre allesamt weißen Vorgänger hatten den Posten auf Lebenszeit innegehabt. Nicht nur Hannah-Jones fühlte sich zurückgesetzt, sondern mit ihr weite Teile der afroamerikanischen Gemeinschaft in der akademischen Welt.

Es kam zu Protesten auf dem Campus, offene Briefe wurden verfasst, und schließlich bot ihr die Universität den Posten doch auf Lebenszeit an. Nun folgte die zweite Zurückweisung: In der vergangenen Woche lehnte Hannah-Jones die Stelle ab und verkündete, dass sie sich stattdessen der Howard University anschließen werde, einer afroamerikanischen Universität in Washington D.C. Ein Kommentator merkte an, die Nation habe nicht mehr so gebannt auf eine Entscheidung darüber geschaut, wo ein afroamerikanisches Genie landen werde, seit der Basketballspieler LeBron James vor gut zehn Jahren sehr lange und sehr öffentlich darüber nachdachte, bei welchem Klub er künftig anheuern wolle.

So begehrt wie der Basketballer LeBron James

Das ist zweifelsohne zugespitzt, aber nicht ganz so sehr, wie es zunächst klingt. Die anfängliche Zurückweisung aus North Carolina hatte eine Debatte darüber in Gang gesetzt, warum insbesondere im Journalismus so wenige Lehrstühle von Schwarzen besetzt sind. War das Vorgehen der UNC nicht zumindest ein Teil der Antwort? Wurde Hannah-Jones nicht offensichtlich diskriminiert? Aus dieser Debatte wuchs das große Interesse daran, wie sie sich entscheiden würde, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass ihre Entscheidung eine wuchtige Wirkung entfaltet hat.

Nikole Hannah-Jones kam vor gut 45 Jahren in Iowa als zweite von drei Töchtern eines Afroamerikaners und einer Weißen zur Welt. Sie besuchte überwiegend weiße Schulen, erwarb einen Bachelor in Afroamerikanischen Studien an der University of Notre Dame in Indiana und einen Master-Abschluss in Journalismus in North Carolina. Nach Stationen bei verschiedenen Regionalzeitungen kam sie 2015 zur New York Times, wo sie hauptsächlich über systemischen Rassismus schrieb und dafür weitreichende Anerkennung erhielt. Unter anderem wurde sie 2017 mit der MacArthur Fellowship ausgezeichnet, auch genannt: Genie-Preis.

Das "1619 Project" wurde viel gelobt, allerdings gab es auch gut begründete Kritik. So hatte Hannah-Jones zunächst argumentiert, die Kolonialisten hätten im 18. Jahrhundert allein deshalb für die Unabhängigkeit gekämpft, um die Sklaverei beibehalten zu können. Die New York Times korrigierte das später dahingehend, dass "manche Kolonialisten" nur aus diesem Grunde die Unabhängigkeit von der britischen Krone erstreiten wollten.

An der Howard University wird Hannah-Jones nicht nur Journalismus lehren, sondern zudem ein "Zentrum für Journalismus und Demokratie" aufbauen. Der Posten wurde eigens für sie geschaffen. An finanziellem Spielraum wird es ihr nicht mangeln: Verschiedene Stiftungen haben den Lehrstuhl mit 20 Millionen Dollar ausgestattet. Und, fast überflüssig zu erwähnen: Natürlich wurde Nikole Hannah-Jones auf Lebenszeit ernannt.

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