Hinterher ist man halt schlauer. Hätten die niederländischen Wähler vorher gewusst, was nach der Wahl im März passieren würde, hätten sie Mark Rutte wohl nicht noch einmal das Vertrauen geschenkt. Denn der Dauerpremier schaffte es, dieses Vertrauen in Windeseile und gründlich zu verspielen. Wobei das Verheerende gar nicht die Lüge in der Affäre um seinen Konkurrenten Pieter Omtzigt war, bei der er kurz vor Ostern ertappt wurde. Es wird viel gelogen in der Politik. Sondern die Tatsache, dass er diese Lüge trotz eines eindeutigen schriftlichen Beweises nicht zugab.
Keine Frage, Rutte hätte gehen müssen. Auch wegen der Abgründe, die sich im Kindergeldskandal nach und nach auftaten und eine systematische Kaltherzigkeit offenbarten, die Rutte zu verantworten hat. Und wegen des vielfältigen Versagens im Kampf gegen das Coronavirus, das Rutte und seine Berater von Beginn an sträflich auf die leichte Schulter nahmen.
Doch Rutte lächelte alles weg, wie immer in seiner Karriere, mit diesem kumpelhaften Augenaufschlag: Ich bin's doch, euer Mark, der Mann, der mit dem Apfel in der Hand zur Arbeit radelt. Dass er damit durchkam, dass es ihm gelang, im Amt zu bleiben, ist einer der erstaunlichsten politischen Stunts der jüngeren europäischen Geschichte. Zu erklären nur mit der Unfähigkeit seiner Partei, sich von der profitablen Machtmaschine Rutte zu lösen, und der allseitigen, fast panischen Angst vor Neuwahlen.
Den Preis bezahlen die Bürger. Der politischen Kultur der Niederlande haben all diese Vertuschungen, Lügen und nicht gezogenen Konsequenzen schwer geschadet. Das Land, einst so erfolgreich und selbstsicher, ist in einer unguten Verfassung, es kriselt. Probleme bleiben ungelöst, viele Menschen sind verwirrt und fragen sich, worauf sie noch bauen können. Und nun geht es beim Regieren also weiter wie bisher, mit Rutte und denselben Parteien? Diese Ehe ist zerrüttet, bevor sie überhaupt geschlossen wird.