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Natalja Poklonskaja:Für die Ukrainer eine Verräterin, jetzt auch von Russland verstoßen

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Sie war eines der bekanntesten Gesichter der russischen Staatspropaganda. Nun hat sich die prominente Juristin Natalja Poklonskaja gegen den Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen. Dafür hat Putin sie entlassen.

Von Frank Nienhuysen

Was wird sie jetzt tun, Natalja Poklonskaja? Für die Ukraine ist sie eine Verräterin, weil Russland sie einst zu seiner Heldin machte. Jetzt lässt auch Moskau sie fallen. Offiziell nicht ganz, aber zumindest nimmt es sie aus der Öffentlichkeit, und natürlich hat alles mit dem Krieg zu tun. Er ändert alles. Natalja Poklonskaja, erst ukrainische Staatsbürgerin, dann russische, ist ein Gesicht dieses Krieges, der für die Ukraine schon vor acht Jahren begann. Er hat ihren Aufstieg beschleunigt und jetzt ihren Fall.

Die Juristin war 2014 erst 33 Jahre alt, eine kaum bekannte Staatsanwältin in Diensten des ukrainischen Staates. Als Russland die Krim annektierte, wechselte Poklonskaja die Seiten. Sie wurde auf der Halbinsel Generalstaatsanwältin, die erste, die es jemals gab auf der Krim. Jung, fotogen, überzeugt von ihrem neuen Staat - für die russische Propaganda war sie ein großer Gewinn. Die Ukraine schrieb sie zur Fahndung aus.

Zwei Jahre später wurde Natalja Poklonskaja in Russland Duma-Abgeordnete der Regierungspartei, vor wenigen Monaten sogar Vizechefin der Staatsbehörde Rossotrudnitschestwo, die Russlands Kultur-Interessen in den früheren Sowjetrepubliken vertritt. Doch ihre Karriere ist nun wohl erst mal zu Ende. Wladimir Putin hat sie vor wenigen Tagen entlassen. Wie der Kreml mitteilte, offiziell auf ihren eigenen Vorschlag.

Ihre Appelle, den Krieg zu beenden, verhallten ungehört

Poklonskaja leidet sichtlich unter dem Angriffskrieg, mehrmals hat sie sich öffentlich gegen ihn ausgesprochen. "Hört bitte damit auf", flehte sie. Den Einmarsch in die Ukraine nannte sie eine "Katastrophe", das Zeichen "Z" ein Symbol "für Tragödie und Trauer, für Russland wie auch für die Ukraine". Zwei Stunden lang sprach sie kürzlich in einem Youtube-Interview mit Katerina Gordejewa. Sie rechtfertigte die Annexion der Krim, auf der noch ihre Eltern leben. Sie machte aber auch klar, dass jetzt alles zu weit gehe: das Sterben, die zerstörten Städte, die Millionen von Flüchtlingen, all das habe Schmerz in ihr ausgelöst. Und auch dies sagte sie: dass sie die Ukraine liebe und den Ukrainern helfe. Die seien ja nicht alle rechte Nationalisten.

Vor acht Jahren hatte sie noch gesagt, sie schäme sich, in einem Land zu leben, in dem Banditen auf dem Maidan herumliefen, dem Platz der demokratischen Revolution in Kiew. Jetzt hat sie Probleme: So deutlich gegen den Krieg haben sich bisher wenige russische Staatsvertreter geäußert.

Artig bedankte sich Natalja Poklonskaja über Telegram noch bei Putin, nachdem der ihre Entlassung unterschrieben hatte, "für die Unterstützung und das Vertrauen". Sie werde einen anderen Job machen. Am Dienstag wurde bekannt, dass sie Beraterin beim russischen Generalstaatsanwalt wird. Das klingt nach einem vergleichsweise sehr unverbindlichen Posten für die 42-Jährige.

Zweifel an ihrer Haltung hatte es in Moskau schon länger gegeben. Als vor vier Jahren in Russland Menschen auf den Straßen "Schande" riefen, weil die Regierung das Rentenalter erhöhte, stimmte Natalja Poklonskaja als Einzige der großen Regierungsfraktion gegen das unbeliebte Gesetz. Damals diskutierte die Partei über ihren Rauswurf, ließ es aber sein. Und auch das war ein sehr öffentlicher Moment mit einer Hauptrolle für Natalja Poklonskaja: Sie forderte mit Vehemenz, dass der Film "Matilda" (dt.: "Mathilde - Liebe ändert alles") verboten würde, in dem der letzte russische Zar Nikolaus II. als Liebhaber einer Tänzerin dargestellt wurde. Sie hetzte gegen das Werk, nannte es eine "Schädlingsarbeit" - und hatte den Film nicht einmal gesehen. Ihr Verbotsversuch scheiterte.

Seitdem galt Poklonskaja als extravagant, unangepasst und "nicht führbar". Weshalb auch ihre Ankündigung auf Telegram passt: Öffentlich und in den sozialen Medien werde sie sich nun nicht mehr äußern.

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