Missbrauchsprozess von Münster:Für solche Verbrechen gibt es keine angemessene Gefängnisstrafe

Missbrauchsfall Münster: Gartenlaube des mutmaßlichen Haupttäters Adrian V.

Die mittlerweile abgerissene Gartenlaube des Haupttäters im Missbrauchsfall von Münster.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Das Urteil des Landgerichts Münster ist die richtige Antwort auf ein unbeschreibliches Verbrechen. Aber reicht das? Die Wahrheit ist: Nicht das Strafmaß schreckt Täter ab, sondern die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Hier muss der Staat ansetzen.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Es ist ein Verbrechen, das in die tiefsten Abgründe des menschlichen Wesens führt. Kindern wird sexualisierte Gewalt angetan, um Videos für die Bedürfnisse einer widerwärtigen Community zu drehen, von einem IT-Techniker, der dem Gericht zufolge den eigenen Ziehsohn missbraucht. 14 Jahre Haft plus Sicherungsverwahrung lautet das Urteil gegen den Haupttäter; er wird für Jahrzehnte im Gefängnis bleiben - falls er überhaupt je wieder rauskommt.

Dass das Landgericht Münster nun hohe Strafen verhängt hat, ist die richtige Antwort. Und doch kann so ein Urteil die Welt in uns nicht wiederaufbauen, die durch solche Verbrechen zum Einsturz kommt. Münster, Bergisch Gladbach, Lügde - die Städtenamen sind zu Chiffren geworden für Täternetzwerke, die mit unglaublicher Kälte und Grausamkeit vorgegangen sind. Die Wut, der Zorn, die Hilflosigkeit, die solche Geschehnisse auslösen: Sie kennen kein Maß, das sich in Gefängnisjahren ausdrücken ließe.

Technisch hochgerüstete Täternetzwerke

Aber welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Härtere Strafen? So unfassbar solche Verbrechen sind: Das Urteil von Münster wäre eine Gelegenheit, um einmal die Wahrheit über das Strafen zu sagen. Denn 14 Jahre plus Sicherungsverwahrung, das liegt an der Obergrenze dessen, was im Rechtsstaat möglich ist. Auch gegen Helfer und Konsumenten lässt sich die Schraube der Strafen nicht weiter anziehen. Wer auch nur ein kinderpornografisches Bild auf der Festplatte hat, der muss seit Kurzem mit einem Jahr Haft rechnen - als Untergrenze.

Ohnehin ist es nicht die Höhe des Strafmaßes, die mögliche Täter abschreckt, sondern die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Hochgerüsteten Täternetzwerken wie in Münster kommt man daher nur mit polizeilichen Ermittlungskapazitäten bei, die technisch auf Augenhöhe operieren. In Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Ländern ist in den für Cybercrime zuständigen Abteilungen in den vergangenen Jahren einiges vorangekommen. Aber man mache sich nichts vor: Es wird ein ewiger Wettlauf mit dem Verbrechen bleiben. Die Täter von Münster gingen mit hoch professioneller Verschlüsselungstechnik zu Werke.

Seine zentrale Aufgabe aber hat der Staat anderswo zu erfüllen. Denn Strafrichter und Polizisten kommen erst zum Zug, wenn die Kinder ihr Martyrium schon hinter sich haben. Der Staat muss seine Fühler aber ausstrecken, um Missbrauch und Gewalt frühzeitig zu entdecken und rechtzeitig einzugreifen. Der Hauptangeklagte von Münster war den Behörden längst bekannt. Er verbarg sich hinter einem Wall aus Täuschung und Manipulation.

Natürlich brauchen die Jugendämter mehr Personal

Notwendig ist sicherlich eine bessere Ausstattung von Jugendämtern, die oft mit zu wenig Personal an vorderster Front operieren. Detektoren für Fälle von Missbrauch können auch die Familiengerichte sein. Aber eben nur dann, wenn die Richterinnen und Richter das nötige Sensorium für soziale und menschliche Problemfälle haben. Dazu benötigen sie psychologische und kommunikative Fähigkeiten - eine Erkenntnis, die sich freilich erst jetzt und damit viel zu spät im Bundesgesetzblatt niedergeschlagen hat.

Und schließlich geht es um die Rechte der Kinder selbst. Oft waren die Familien schon mit Behörden und Gerichten in Kontakt. Dort besteht die Chance, bei den Kindern selbst Anzeichen für Missbrauch zu entdecken. Dazu müssen sie in familiengerichtlichen Prozessen persönlich angehört und durch einen unabhängigen Verfahrensbeistand begleitet werden. Vor Kurzem sind diese Rechte im Gesetz aufgewertet worden, das war längst überfällig. Nun müssen sie im gerichtlichen Alltag zur Selbstverständlichkeit werden. Für die Kinder von Münster kommt das allerdings zu spät.

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