Missbrauch:Null Verständnis

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Immer noch untersucht die Kirche Sexualdelikte lieber intern. Der Rechtsstaat sollte da hinschauen, nicht in Ehrfurcht erstarren.

Von Ronen Steinke

Es gehört großer, sehr anerkennenswerter Mut dazu, den Mund aufzumachen und die Peiniger beim Namen zu nennen, die einen im Kindesalter sexuell ausgenutzt oder gar vergewaltigt haben. So einen Mut zeigen in den vergangenen Jahren immer häufiger Menschen, wenn es um Priester oder andere Kirchenmänner geht. Oft gehört da besondere Selbstüberwindung dazu, weil es auch ein Hadern mit dem eigenen Glauben bedeutet, und weil man riskiert, auch deshalb schief angesehen zu werden, weil man angeblich den guten Namen der Kirche beschmutze. Es ist großartig, wenn Geschädigte dennoch die Kraft finden, durch ihr Sich-Outen andere zu schützen. Und es ist nur menschlich, wenn vielen die Kraft dafür (noch) fehlt. Dafür: vollstes Verständnis.

Es gehört andererseits nichts als bequemliche, lauwarme Selbstgerechtigkeit dazu, wenn Menschen aus der vergleichsweise sicheren Position als Arbeitgeber oder Arbeitskollege heraus nicht den Mumm aufbringen, so einer oft späten Aufklärung noch den Weg frei zu machen. Wenn Hierarchen in der Kirche die Dinge lieber "intern" untersuchen lassen, von teuren Anwaltskanzleien, die nach außen hin mitunter die Fensterläden verriegelt halten, dann senden sie die anmaßende Botschaft aus: Nicht der Rechtsstaat, sondern wir selbst wissen am besten, wie man mit einem solchen Verdacht schwerer Straftaten umgeht. Dafür: null Verständnis.

"Aufgearbeitet" wird in jüngerer Zeit durchaus viel in der katholischen wie in der evangelischen Kirche. Die Staatsanwaltschaft eingeweiht aber wird weiterhin nur wenig. Das erleben die Ermittler jetzt wieder im Fall eines früheren Pfarrers im nordrhein-westfälischen Gummersbach, der nach "interner" Prüfung von Missbrauchsvorwürfen im Jahr 2011 wieder an die Arbeit geschickt wurde. Wahr ist aber auch: Der Rechtsstaat bräuchte sich das alles nicht mit so einer Engelsgeduld anzuschauen, Landesregierungen - wie insbesondere die Nordrhein-Westfalens - könnten bei allem Respekt vor der Kirche auch härter auftreten. Wenn schon diese staatlichen Institutionen vor Ehrfurcht zurückweichen, anstatt Mut zu zeigen, wie will man das dann erst von den Betroffenen erwarten?

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