Angela Merkel:Macht, die sie noch hat

Die scheidende Kanzlerin versucht, die Länder gegen ihren Nachfolger zu mobilisieren.

Kommentar von Nico Fried

Am Montag beging Angela Merkel ihren 16. Jahrestag im Kanzleramt. Unterschiedlicher hätten Damals und Heute kaum sein können: Am 22. November 2005 hielt Merkel erst einen Blumenstrauß in der Hand, ehe ihr Vorgänger Gerhard Schröder ihr auch noch seinen in die Hand drückte - aus eins mach zwei. Am 22. November 2021 sprach Merkel nun selbst von einer Verdoppelung - nämlich der Corona-Fallzahlen alle zwölf Tage. 2005 hatten manche Deutsche vielleicht ein banges Gefühl, als Merkel das wichtigste Regierungsamt übernahm. 16 Jahre später hat die Kanzlerin im CDU-Bundesvorstand gewarnt, dass die gegenwärtige Corona-Lage alles übertreffen werde, was das Land bisher erlebt hat.

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Merkel ist spät dran. Nicht nur neigt sich ihre Amtszeit dem Ende zu. Allzu lange hat sie sich zuletzt in Corona-Fragen zurückgehalten. Vielleicht wollte die geschäftsführende Kanzlerin den freundlichen Übergang in die nächste Regierung nicht gefährden, den zu inszenieren sie sich gemeinsam mit Olaf Scholz alle Mühe gegeben hat. Doch solche Stilfragen verblassen angesichts der dramatischen Situation, die sich mittlerweile entwickelt hat. Wenn demnächst immer mehr Krankenhäuser überlastet sein sollten, werden die Bürger Merkel genauso in die Verantwortung nehmen wie ihren potenziellen Nachfolger. Diese Kanzlerschaft wird nach heutigem Stand mit traurigen Begleitumständen enden.

Seitdem der neue Bundestag zusammengetreten ist, hat Merkel keine Mehrheit mehr. Der geschäftsführenden Kanzlerin bleibt damit faktisch nur noch die Macht des Wortes. Davon hat sie nun Gebrauch gemacht - und zwar in bemerkenswertem Ausmaß. Denn Merkels Appell an die Länder, noch in den letzten Tagen der Geltungsdauer einer epidemischen Notlage die Regeln nach dem alten Recht massiv zu verschärfen, unterläuft faktisch das eben erst von den Ampel-Parteien beschlossene Gesetz. Der politische Vorwurf, den Merkel mitschwingen lässt, ist leicht zu dechiffrieren: Die Neuen können es nicht.

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