Süddeutsche Zeitung

Fernsehen:Das Goldstück des Berliner "Tatorts" - einfach weg

Meret Becker ermittelt an diesem Sonntag letztmals als Kommissarin Nina Rubin. Die Schauspielerin hat immer gesagt, dass diese Rolle "generell nie meine Auffassung dieses Berufes" ist.

Von Claudia Tieschky

Der Sonntag ist dem Fernsehen heilig. Auf einer Rolle als Kommissarin im Tatort und Polizeiruf 110 kann man als Schauspielerin eine solide, womöglich lebenslange Karriere aufbauen. Oder auch nicht.

Im Moment jedenfalls liegt Trennung in der Luft, ein Schlussmachen, als gäbe es kein Morgen. Im Tatort starben Anna Schudt (Dortmund) und Christian Ulmen (Weimar), Nora Tschirner ist auch weg; im Polizeiruf 110 kamen erst Maria Simon und dann Charly Hübner abhanden. Für dieses ganze Aufhören müssen natürlich Drehbücher her, und man sah deshalb in letzter Zeit viel Liebe, Tod oder beides. Zu den dramatischen Abschiedsfolgen kommt an diesem Sonntag noch eine dazu: Der letzte Einsatz von Meret Becker als Berliner Ermittlerin Nina Rubin, und zu den Überraschungen dabei gehört, dass ein Rollfeld auf dem unseligen BER fast so aussieht wie in dem Filmklassiker Casablanca.

Sie fühlt sich von den ständigen Dreharbeiten in ihrer Freiheit zu sehr beschränkt

Im Berliner Tatort haben sie immer mit dem Genre gespielt, am dollsten vielleicht in der Folge Meta von 2018; da jagen Nina Rubin und Robert Karow (Mark Waschke) während der Berlinale einem Fall hinterher, der surrealerweise einem Festivalfilm gleicht. Becker und Waschke lösten 2015 das angestaubte Berliner Duo Dominic Raacke und Boris Aljinović ab, und es ging sofort rund: harte Fälle, oft vor dem Hintergrund der Berliner Clans - und Becker, deren Nina Rubin sich nachts herumtrieb, flüchtigen Sex hatte und generell schlecht die Balance zwischen unzulänglicher, aber heftig gluckender Mutter und lebenshungriger Großstadtpflanze fand.

Auch Waschke ist natürlich herrlich als egomaner, gefühlsarmer, bisexueller Verführer Karow, und zu Beckers Nachfolgerin Corinna Harfouch kann man den RBB nur beglückwünschen. Aber ohne Meret Becker, 53, wird es nicht dasselbe sein: Sie ist das berlinernde Goldstück dieses Krimis, und das ist jetzt weg.

Der Beruf ist ihr Erbe

Noch nicht einmal ganz am Anfang, als ihr Engagement bekannt wurde, hat sie verheimlicht, dass der Tatort "generell nie meine Auffassung dieses Berufes" ist. Bei allem Respekt für den Sonntagskrimi wurde ihr, wie sie erklärte, in letzter Zeit zunehmend die Einengung durch die kontinuierlichen Dreharbeiten bewusst. Ihr fehlte die Luft für anderes. Manche, die in diesem oft prekären Beruf arbeiten, würden das als Luxusproblem bezeichnen. Für eine Bühnenkünstlerin wie die Becker, die auch Performerin und Musikerin ist, virtuos auf der singenden Säge spielt und voriges Jahr für ihre Rolle in Dominik Grafs Fabian oder Der Gang vor die Hunde für den Deutschen Filmpreis nominiert war, ist es wahrscheinlich tatsächlich ein Kreativitäts- und Freiheitsproblem. Um die Freiheit der Kunst ging es ihr auch, als sie bei der umstrittenen Aktion gegen die Corona-Maßnahmen #allesdichtmachen dabei war, sich aber anschließend distanzierte und sich für Missverständlichkeit entschuldigte: "Wir hätten vielleicht mehr das sagen sollen, was eigentlich gemeint ist."

Der Beruf ist ihr Erbe. Mit ihrem Bruder Ben Becker ist sie beim Schauspielerpaar Monika Hansen und Otto Sander in Berlin aufgewachsen. Ihre Oma war Claire Schlichting, die 1905 geborene Schauspielerin und Komikerin; heute treten Meret Becker, ihre Tochter Lulu Hacke und Mutter Monika Hansen gelegentlich zusammen auf. Es liegt nicht nur am Bubikopf, wenn Meret Becker etwas vom Flair der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts umweht: Dieser wilden Zeit fühlt sie sich erklärtermaßen nahe, und vielleicht war es genau das, was in ihrem Tatort so flirrte, das mit diesem Berlin und seiner Vergangenheit zu tun hat. Umgekehrt wirkt Meret Becker in der Serie Babylon Berlin, wo sie demnächst wieder in der neuen Staffel zu sehen ist, auf ganz natürliche Art modern. Sie braucht gar keinen Tatort, um mittendrin zu sein in einem Berlin-Krimi.

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