Süddeutsche Zeitung

Menstruation:Weil niemand mit Schmerzen funktionieren muss

Jahrzehntelang haben sich Frauen an die von Männern gemachten Regeln der Arbeitswelt anpassen müssen. Aber nun können sie diese mitgestalten - Spanien macht es mit einem Gesetz zur Menstruation vor.

Kommentar von Karin Janker

Auch Menschen, die einmal im Monat bluten, haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Diese Selbstverständlichkeit soll in Spanien nun in ein Gesetz fließen. Weil sie in der historisch weitgehend von Männern gestalteten Arbeitswelt eben alles andere als selbstverständlich ist. Feministische Politik, wie die spanische Regierung sie derzeit vorantreibt, kämpft mit vielen Missverständnissen. Am neuen Gesetzesvorhaben, das unter anderem eine Krankschreibung wegen starker Menstruationsbeschwerden erleichtern soll, werden diese besonders deutlich.

Die Missverständnisse beginnen beim Namen beziehungsweise bei der häufigsten Übersetzung, die derzeit kursiert: Wer von "Menstruationsurlaub" spricht, hat leider nicht begriffen, worum es geht. Es geht nicht um bezahlte Freizeit, sondern darum, dass jemand, der Schmerzmittel nehmen müsste, um in der Arbeit zu funktionieren, ein Recht darauf hat, an manchen Tagen nicht zu funktionieren und dafür keine Nachteile hinnehmen muss. In Spanien wird eine Lohnfortzahlung üblicherweise erst vom vierten Krankheitstag an gewährt. Frauen, die ein bis drei Tage wegen Periodenschmerzen ausfallen, bekommen bisher an diesen Tagen kein Geld. Der spanische Fall ist daher nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar.

Jeder siebte Mann will gar nicht wissen, was während der Periode passiert

Einem weiteren Missverständnis sitzt auf, wer die erleichterte Krankschreibung - oder feministische Politik generell - als bloße Symbolpolitik abtut. Denn schon allein die Debatte über das Thema Menstruation ist mehr als bloßes Symbol. Die moderne westliche Gesellschaft hat verinnerlicht, dass der weibliche Zyklus etwas ist, was sich in aller Heimlichkeit zu vollziehen hat. Sie hat Produkte entwickelt, die "die Regel" aufnehmen, "wo sie passiert", damit sie - Zitat aus demselben Werbespot - "sauber und diskret abläuft".

Einer aktuellen Umfrage zufolge will jeder siebte Mann gar nicht wissen, was während der Periode passiert. Jeder dritte Befragte sagte, er könne es nicht nachvollziehen, wenn Hausarbeit liegen bleibt, während die Frau ihre Tage hat. Eine öffentliche Debatte, wie sie nun in Spanien läuft, rüttelt an Tabus. Das Symbolische, das schon immer zur Politik gehört, hat hier ganz praktische Folgen.

Das entscheidende Missverständnis

Das dritte und vielleicht entscheidendste Missverständnis, das sich am spanischen Beispiel zeigt, betrifft weniger die Gegner feministischer Politik als vielmehr feministische Politik selbst. Jahrzehntelang kämpfte man dafür, dass Männer und Frauen in der Arbeitswelt gleichbehandelt werden. Dass kein Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Chefs gemacht wird - ja, dass es überhaupt erst einmal weibliche Vorgesetzte gibt. Es waren und sind wichtige Kämpfe, sie sind noch längst nicht abgeschlossen. Einer ganzen Generation von Frauen verlangten sie ab, sich den existierenden, von Männern gemachten Regeln anzupassen.

Viele dieser Frauen haben schmerzhafte Opfer gebracht. Kinder und Karriere zu vereinbaren war oft schlicht nicht drin. Inzwischen aber sind Frauen - und das spanische Kabinett mit einem Frauenanteil von 64 Prozent ist dafür ein gutes Beispiel - in der Position, selbst Regeln zu machen. Sie können mitbestimmen, wie die Arbeitswelt gestaltet wird. Und welche Bereiche schützenswert sind, auch wenn viele Männer sie jahrzehntelang übersehen haben. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit während der Menstruation ist einer davon.

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