Süddeutsche Zeitung

Meinungsfreiheit:Jetzt ist Souveränität gefragt

Deutschland muss endlich den Paragrafen zur Gotteslästerung abschaffen. Ansonsten setzt sich gewaltsamer Protest von Fundamentalisten gegen Künstler und Satiriker durch.

Von Ronen Steinke

Europa diskutiert wieder über Mohammed-Karikaturen. Und der deutsche Rechtsstaat steht bei diesen Debatten leider nicht aufseiten der Aufklärung, sondern auf der Gegenseite. Denn hierzulande gibt es - anders als im laizistischen, zwischen Staat und Kirche sauber trennenden Frankreich - noch immer einen alten Paragrafen gegen "Gotteslästerung". Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, diesen Paragrafen abzuschaffen.

Zu Zeiten Kurt Tucholskys, der 1928 wegen eines Gedichts angeklagt wurde, hieß die Strafvorschrift noch offiziell Gotteslästerung. Heute, in modernisierter Form: "Beschimpfung von Bekenntnissen", Paragraf 166 Strafgesetzbuch. Es macht sich strafbar, wer "den Inhalt des religiösen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".

Und das ist das Problem: Mit Strafe bedroht ist Religionskritik hierzulande (erst) dann, wenn sie bestimmte Reaktionen erwarten lässt. Das ist der Kern. Auf die Reaktionen kommt es an. Es ist, wie mit Blick auf den Mord an dem mutigen französischen Lehrer Samuel Paty treffend bemerkt worden ist, wahnwitzig, Karikaturen für einen Mord verantwortlich zu machen - und nicht den Mörder selbst. Aber genau dieser Logik verschreibt sich das deutsche Strafrecht.

Ein Beispiel: Das Titelbild der Satirezeitschrift Titanic mit zum Klopapierhalter umfunktionierten Kruzifix war 1995 nur kurz ein Thema für die Ermittler: Das Verfahren wurde eingestellt - weil keine gewaltsamen Reaktionen von Christen erwartet wurden. Oder auch die "Anleitung zur Hostienschändung" des Comic-Zeichners Walter Moers oder das gekreuzigte Schwein auf T-Shirts der Punkband WIZO: Strafverfahren eingestellt - weil keine gewaltsamen Reaktionen absehbar waren.

Als hingegen 2006 ein Mann in Nordrhein-Westfalen Toilettenpapier mit dem Wort "Koran" bedruckte, reagierte das Amtsgericht drastisch. Der Richter verwies auf die damals weltweiten, gewaltsamen Proteste gegen Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands Posten. Und er ging deshalb den Angeklagten besonders hart an: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung plus dreihundert Sozialstunden.

Warum? Das ist die Logik des Gotteslästerungsparagrafen. Wenn die Forderung von Fundamentalisten nach "Grenzen der Meinungsfreiheit" besonders laut und bedrohlich wird - dann folgt die Justiz ihnen unter Umständen. Wenn Kleriker oder Gläubige sich besonders harsch jeden Spott verbitten und zu Gewalt aufrufen - dann zollt das deutsche Strafrecht ihnen zumindest insofern Respekt, als es die Spötter besonders streng ansieht.

Zur Erinnerung: Als zuletzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Meinungsfreiheit in Europa kritisierte und verlangte, dass der Satiriker Jan Böhmermann wegen eines Gedichts hart bestraft werden sollte, reagierte der deutsche Rechtsstaat souverän. Ungerührt strich er den Uralt-Paragrafen gegen Majestätsbeleidigung, auf den sich Erdoğan berufen hatte, aus dem Gesetzbuch.

So sollte man es auch jetzt tun, da Erdoğan wieder Europas Werte attackiert und da auf den Straßen auch von Berlin-Neukölln Leute mit dem Ausruf "Allahu Akbar" demonstrieren, aus deren Sicht der Mord an dem Lehrer Samuel Paty offenbar noch nicht genug Dämpfer für die Meinungsfreiheit gewesen ist.

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