Super Bowl Sunday:Football, Fernsehen, Fressen

Super Bowl Sunday: Super Bowl vor einem Jahr in Tampa, war auch schön.

Super Bowl vor einem Jahr in Tampa, war auch schön.

(Foto: John Angelillo/imago images/UPI Photo)

Der Sport ist in den USA ebenso politisch aufgeladen wie anderswo. Doch wenn in Los Angeles die Rams gegen die Cincinnati Bengals antreten, zeigt sich: Das entspannte Amerika ist auch noch da.

Kommentar von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Zum aktuellen Zustand der amerikanischen Gesellschaft hat gerade Sean McVay, Trainer der Los Angeles Rams, die am Sonntag das Football-Finale gegen die Cincinnati Bengals bestreiten, den treffendsten Satz gesagt. Gewöhnlich ist das Gedöns vor dem Super Bowl gigantisch; nun aber gab es wegen der Pandemie nur eine kurze virtuelle Pressekonferenz und McVay sagte über diese ungewöhnliche Gelassenheit: "Ich beantworte ein paar Fragen, dann kann ich mich wieder aufs Spiel konzentrieren."

Der Super-Bowl-Sonntag ist einer von nur zwei Terminen, auf den sich die heillos zerstrittenen Amerikaner einigen können. An Thanksgiving gibt es Truthahn und Familienfrieden, und am Super Sunday frönen sie all jenen Dingen, die dieses Land - je nach Betrachtungsweise - faszinierend oder abstoßend machen: Sie verputzen ihr Körpergewicht in Hühnchen und Chips; feiern ihre konsumorientierte Kultur mit aufwendigen Reklamefilmen, ihr Militär mit übers Stadion donnernden Flugzeugen und ihre Popkultur mit einer bombastischen Halbzeitshow. Football ist die sportliche Beigabe zu einer opulenten Feier der eigenen Großartigkeit, netto wird etwa 17 Minuten lang während der Viereinhalb-Stunden-Übertragung gespielt.

Vor einigen Jahren, übrigens lange vor Donald Trumps Ausflug in die Politik, wurde der Super Bowl politisiert: Der damalige Präsident George W. Bush gab 2004 ein witziges Interview ("Was weiß ich schon, ich bin nur der Präsident") und startete damit die Tradition, dass der Präsident vor dem Spiel ein paar Fragen beantwortet und so mehr als 100 Millionen Landsleute erreicht. Es folgte die Politisierung von Football selbst, mit heftigen und unerbittlichen Debatten: Darf der Afroamerikaner Colin Kaepernick während der US-Hymne knien, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren? Sind Änderungen im Reglement für mehr Sicherheit Indizien für die Verweichlichung von Football und damit ein Symbol für pussyhaften Linksliberalismus? Sollen Sportler bei politischen Themen die Schnauze halten oder ihre Plattform nutzen?

Es entwickelt sich gerade so etwas wie ein drittes Lager: eines, das nicht mehr streiten, sondern einfach über Hähnchensoße sinnieren will

Sport und Politik sind nicht mehr zu trennen. Das ist jedoch kein rein amerikanisches Problem, wie der Blick auf Olympia in China zeigt; und viel Glück beim Versuch, derzeit in einer westlichen Demokratie bei irgendeinem Thema einen Konsens zu erzielen. Doch der Super Bowl in Los Angeles findet in einem vollen Stadion statt, die Indoor-Maskenpflicht in Kalifornien ist gerade aufgehoben worden; kaum jemand debattiert darüber. Es wird um die drei uramerikanischen Fs gehen: Football, Fernsehen, Fressen. Der ganze Rest: egal, und diese Gelassenheit tut den Amerikanern ganz gut gerade.

Ja, es wird immer noch unerbittlich gestritten in diesem Land, doch entwickelt sich gerade so was wie ein drittes Lager abseits von links und rechts, der Streitereien überdrüssig. Menschen, die an diesem Sonntag nur über die Schärfe der Hähnchenflügel-Soße, das Zeus-Outfit von Arnold Schwarzenegger im Reklamefilm, die Musik von Eminem während der Halbzeit und freilich auch über Football debattieren wollen. Vielleicht stammt der wichtigste Satz dann doch von Präsident Joe Biden: einer, der nicht gesagt werden wird. Er verzichtet nämlich auf das Super-Bowl-Interview und tut genau das, was seine Landsleute brauchen an diesem Tag: Er verschont sie mit Politik.

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