Süddeutsche Zeitung

Österreich:Auf die Bühne mit euch!

Martin Kušej, Intendant des Wiener Burgtheaters, lässt seine Schauspieler die Chats aus dem Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz vorlesen - zum allgemeinen Entzücken.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Es gibt in Österreich, aus gegebenem Anlass, die Kunstform der Lesung aus Ermittlungsakten. 2011, also genau vor zehn Jahren, untersuchte die Staatsanwaltschaft Machenschaften aus der Zeit der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition, und Unterhaltungen aus Telefonüberwachungsprotokollen waren bekannt geworden, die beste Grundlage für gutes Kabarett boten. Prompt lasen drei renommierte Kabarettisten, die "Staatskünstler", unter der Regie von Falter-Chefredakteur Florian Klenk im überfüllten Audimax unter dem Titel "Da bin ich jetzt supernackt" aus den Abhörprotokollen. Kabarettist Florian Scheuba nannte das damals grinsend ein "postmodernes Drama von Hamlet'scher Ausprägung".

Nun, da sich ein solches postmodernes Drama gerade wieder in Österreich abspielt, hat es die Kunstform der Aktenverlesung, die seither regelmäßig das Publikum entzückt, aktuell unter der Regie von Intendant Martin Kušej auf eine Probebühne des Burgtheaters geschafft. Die Initiative kam vom Standard, der auch die Auswahl der Chats und die Textfassung übernahm. Von diesem Samstag an ist das Ganze als Video zu sehen, damit, wie es in der Ankündigung des Theaters heißt, "Sie sich selbst ein Bild von all den Vorgängen machen können". Kušej und sechs Ensemblemitglieder haben die Chats aus dem engen Umfeld von Ex-Kanzler Sebastian Kurz damit aus einer digitalen in eine anschauliche Bühnenfassung umgewandelt.

Ein Theatermann als "politisches Ausrufezeichen"

Kušej, der seit zwei Jahren das Burgtheater leitet, hat schon topografisch vom Burgtheater einen hervorragenden Überblick über die Orte, an denen sich in den vergangenen Wochen eine veritable Regierungskrise abspielte. Sein berühmtes Haus steht einen Steinwurf vom Ballhausplatz entfernt, wo sich Kanzler- und Präsidialamt befinden; schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Rings, ist die ÖVP-Zentrale, die, wie das Kanzleramt, vergangene Woche durchsucht wurde. Der Intendant, der 2019 vom Residenztheater in München an das Haus in Wien wechselte, sagt der SZ über die Rolle des Theaters in der politischen Aktualität: "Wir sind keine Kommentatoren. Aber wenn tagesaktuelle Entwicklungen von massiver Tragweite zu beobachten sind, verlassen wir immer wieder die Bühne und geben Raum für Debatte." Auch die Lesung der Chatprotokolle sei weniger Kommentar als Dokumentation.

Seine eigene Person, sagte er mal der Welt, hält er für ein "politisches Ausrufezeichen". Anlässlich seines Rufs nach Wien hätten sich gleich mal "reaktionäre Besserwisser in Blogs oder Zeitungen aus der Deckung getraut". Allerdings war auch im Ensemble die Begeisterung über den Intendanten, dem sein Ruf als ruppiger und eigenwilliger Nachfolger der freundlichen Karin Bergmann vorauseilte, nicht ungeteilt. Der 60-Jährige hat, nachdem er Sport, Deutsche Literatur und Sprache sowie Regie studiert hatte, erst in Österreich und Slowenien gearbeitet und später vor allem an deutschen Theatern Karriere gemacht. Neben Stationen in Berlin, Hamburg, Stuttgart und München war Kušej auch Schauspieldirektor bei den Salzburger Festspielen. Seine Intendanz in Wien war bis jetzt von der Pandemie überschattet; in den vergangenen Wochen gab es dann schließlich ein Feuerwerk an aufgeschobenen Inszenierungen.

Derzeit richtet sich das öffentliche Interesse allerdings eher auf die politische Bühne und das skandalaffine Österreich, von dem Kušej sagt, es habe "ein eigentümliches Verhältnis zum leicht Schmutzigen, zur Halbwahrheit und zum Gerücht". Unter der "modernen Oberfläche" existiere immer noch eine "aristokratisch-monarchische Schicht", die Reflexe aus dem Hofstaat über die Jahrhunderte gerettet habe. Eine der erfolgreichsten Inszenierungen an der Burg derzeit ist "Maria Stuart", auch dort geht es um Macht und Intrige. Nicht nur die aktuellen Chats schöpfen aus diesem Fundus. Ihre Hauptfigur Sebastian Kurz als abendfüllende Bühnenrolle - das fände der Intendant denn aber doch "zu viel Ehre".

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