Niederlande:Perfekt für sie

Mark Rutte steht vor seiner nächsten Amtszeit als Premier in Den Haag. Er passt bestens zu seinem Land, das gerne als progressiv gilt - dies aber nicht ist.

Von Thomas Kirchner

Man kann, wenn man möchte, Mark Rutte eine ziemlich miese Bilanz attestieren. Unter der Regie des zum dritten Mal im Amt bestätigten niederländischen Premiers wurden zu wenig Wohnungen gebaut und zu wenig Schweineställe geschlossen, die die Böden überdüngen. Hingegen wurden zu viele Krankenhäuser und Intensivstationen geschlossen, Pflegekräfte entlassen oder schlecht entlohnt. Kinderbetreuungsgeld-Empfänger mit ausländischen Wurzeln wurden als mutmaßliche Betrüger jahrelang systematisch unter Generalverdacht gestellt - was Rutte nicht nur billigte, sondern förderte.

In seiner Amtszeit blieben die Niederlande ein Steuerparadies für multinationale Konzerne, während das Land europapolitisch allenfalls als Bremser und Zuchtmeister auffiel. Was die Pandemie betrifft, erkannte Rutte viel zu spät die Dimension der Gefahr und ließ sich einen halbgaren Kurs aufschwatzen, der zu den relativ hohen Infektionszahlen beitrug.

Bei der Sterbehilfe ist das Land fortschrittlich. Aber sonst so?

Man kann Rutte aber auch so sehen wie offenbar viele Wähler: als perfekten Regierungschef. Der mit harter Hand den Haushalt saniert und viel dafür getan hat, dass es der Wirtschaft nach der Finanzkrise schnell wieder hervorragend und immer noch einigermaßen gut geht. Und der darauf bedacht war, seine freiheitsliebenden Landsleute nicht mit quälenden Corona-Vorschriften zu bevormunden, sondern möglichst schmerzfrei durch die Krise zu lotsen. Insofern sich dieser bemerkenswert flexible Politiker überhaupt ideologisch einordnen lässt, repräsentiert Rutte vermutlich bestens sein Land.

Die Niederlande sind nicht das progressive Musterland, als das sie oft gelten. Fortschrittlich und innovativ sind sie in Teilen der Wirtschaft und der Gesellschaftspolitik, etwa bei der Sterbehilfe. Ansonsten ticken die meisten Bürger inzwischen eher konservativ. Europa mögen sie, solange es dem Handel nutzt, sie halten aber Abstand zur EU und misstrauen "Brüssel" weit stärker als andere. Bei der Migration überwiegt längst der Abwehrreflex. Und lange hat es gedauert, bis nun endlich eine Frau, die Linksliberale Sigrid Kaag, für geeignet erachtet wird, irgendwann vielleicht mal Premierministerin zu werden.

Der Rechtspopulist Wilders kommt nur auf Platz drei. Gefährlich bleibt er

Es sind Politiker wie Geert Wilders, die mit ihren Tiraden gegen Migranten und die EU dazu beitrugen, dass sich der Diskurs insgesamt nach rechts verschoben hat. Der Moscheenabschaffer und Koranverbieter selbst ist zwar wider Erwarten nur auf Platz drei gelandet. Zusammen mit anderen rechtsnationalistischen Spießgesellen okkupiert er aber ein stabiles Stimmenreservoir von einem Fünftel. Weil niemand mit diesen Politikern koalieren will, glauben manche, sie seien sicher verräumt, in der Schmuddelecke. In Wahrheit träufeln sie, vor allem über ihre Präsenz in den sozialen Medien, viel mehr Gift in die Gesellschaft, als diese auf Dauer verkraften kann. Es wird gefährlich, wenn man sich an Politiker wie Wilders oder Thierry Baudet, den mit ihm konkurrierenden Rechtspopulisten, zu gewöhnen beginnt.

Und auch das gibt es noch: eine grüne Partei, die die Hälfte ihrer Mandate abgeben muss, trotz vielfältiger ökologischer Probleme in einem geografisch prekär gelegenen Land. Während sich dieser Rückschlag noch mit einem Spitzenkandidaten erklären lässt, der für zu leicht befunden wurde, reicht das Problem der Sozialdemokraten tiefer: Sie stecken in der Dauerkrise - obwohl ihr Einsatz für soziale Gerechtigkeit wichtiger wäre denn je.

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