Belarus:Wer verzweifelt ist, wird schneller unberechenbar

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko. (Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Präsident Lukaschenko hat Grenzschließungen angekündigt. Dabei hat er kein außenpolitisches Problem, sondern ein innenpolitisches. Er ängstigt seine Bürger unnötig - und schwächt damit auch die belarussische Wirtschaft.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Alexander Lukaschenko will sein Land jetzt vor angeblichen Aggressoren aus dem Ausland schützen, und er nannte auch die Namen: die USA, Polen, Litauen, Tschechien, und - er musste sich offenbar überwinden - "leider auch die Ukraine". In Belarus dürfte es kaum jemanden geben, der ihm das abnimmt. Denn seit etwa einem Jahr hatte er ständig gegen Russland aufgewiegelt, während mit Polen und der Ukraine alles gut war. Und die USA? Stolz zeigte sich Lukaschenko über das stark verbesserte Verhältnis - erstmals seit vielen Jahren standen beide Staaten kurz davor, wieder einen US-Botschafter in Minsk zu installieren. Aber auf die Glaub- oder Unglaubwürdigkeit seiner Volten kommt es ihm schon nicht mehr an.

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Der belarussische Machthaber wirft den westlichen Nachbarn vor, die Proteste der Demokratiebewegung anzufachen. Die Armee versetzt er in Alarmbereitschaft - und spricht von Kriegsgefahr.

Lukaschenko hat kein außenpolitisches Problem, es ist die Wucht im Inneren des Landes, die ihn trifft wie nie zuvor. Er will nicht wahrhaben, dass der offensichtlich größere Teil des eigenen Volkes ihn nach 26 Jahren an der Macht gern los wäre. Das heißt, vermutlich spürt er es sogar, andernfalls würden sich sicher mit Leichtigkeit ebenfalls Zehntausende Menschen finden, die für ihn auf die Straße gehen. Seine Lage hat sich insofern noch verschlechtert, als er im Falle eines Führungswechsels befürchten muss, für das brutale Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung zur Verantwortung gezogen zu werden. Swetlana Tichanowskaja hat dies bereits prophezeit.

Es spricht also enorme Verzweiflung aus der Ankündigung, die Grenzen zu Litauen und Polen zu schließen, die Armee in Alarmbereitschaft zu versetzen und Kriegsszenarien zu entwerfen, die es nicht braucht. Er ängstigt unnötig die eigenen Bürger und er schwächt damit auch die belarussische Wirtschaft. All das macht die Situation sehr gefährlich. Wer verzweifelt ist, wird schnell unberechenbar.

Demonstranten halten historische belarussische Flaggen und nehmen an einem Protest der Opposition teil. (Foto: dpa)

Klar ist, Russland stünde Belarus in der Not beiseite. Militärisch und wirtschaftlich. Doch Not schafft sich Lukaschenko seit Monaten selber. Innenpolitisch ohnehin, doch dazu dem Großteil der Nachbarschaft militärische Absichten vorzuwerfen, treibt ihn nun noch schneller in die Arme Moskaus. Dort fühlt er sich vielleicht sicher, aber es schwächt ihn als Machthaber eines souveränen Staates. Den Nachbarn Litauen und Polen bleibt nun kaum etwas zu tun, als gelassen zu bleiben und denen Schutz zu bieten, die aus Belarus herausdrängen.

© SZ vom 19.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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