Wer hätte das gedacht, nach all dem Hin und Her. Da lamentierte fast die ganze CDU-Spitze noch vor Wochen, dass alles schiefgehen und in einer Katastrophe enden könnte. Und dann läuft es mehr als glatt. Ja, sogar weitgehend perfekt. Gemeint ist nicht die Wahl von Armin Laschet. Gemeint ist der Ablauf des ersten umfassenden Digitalparteitags, bei dem sich die größte Volkspartei Europas eine neue Führung gewählt hat. Die Corona-Pandemie schien selbst wichtigste Abläufe einer Demokratie außer Kraft zu setzen. Und jetzt ist das Gegenteil bewiesen, jedenfalls wenn abschließend auch bei der Briefwahl nichts mehr schiefgeht. Trotz Hacker-Angriffen und knappem Ergebnis - die CDU hat es geschafft, das Ganze sauber über die Bühne zu bringen.
Zum Start in ein großes Wahljahr ist das nicht nur für die Christdemokraten eine gute Nachricht. Und zu verdanken ist es ausgerechnet Friedrich Merz. Er war es, der sich mit den immer weiteren Verschiebungen des Parteitags nicht abfinden wollte; er war es, der mit seiner Attacke auf das Establishment der CDU einen so großen politischen Druck aufbaute, dass der Partei kaum etwas anderes übrig blieb, als das Experiment zu wagen.
Eine besondere Ironie der Geschichte ist freilich, dass Merz damit nicht seinen Sieg erzwungen, sondern seiner wohl finalen Niederlage den Weg geebnet hat. Zumal er danach alles getan hat, um diese Niederlage zu zementieren. Ausgerechnet er, der immer wieder erklärte, er sei ein ganz besonderer Teamspieler, hat kurz nach dem Sieg von Laschet schon wieder Rabatz gemacht, statt sich an die Seite des Gewinners zu stellen. Sein "Angebot", sofort als Wirtschaftsminister ins Kabinett zu gehen, ist eine Provokation, die nur ins Abseits führen kann. Laschet kann so etwas, selbst wenn er wollte, nicht alleine durchsetzen. Merz hilft also niemandem und gefährdet den Zusammenhalt aller. Selten hat ein Verlierer so deutlich gezeigt, dass er sich als Mitstreiter nicht eignet.
Damit aber tut er nicht nur sich selbst keinen Gefallen. Er schadet auch allen, die ihn unterstützt haben. Natürlich wünschen die sich, dass er im Team bleibt. Natürlich haben sie gehofft, dass er ihnen in den anstehenden Wahlen helfen würde. Jetzt aber bedroht er durch Selbstbezogenheit und Hybris genau das Projekt, das für die CDU überlebenswichtig werden könnte.
Gemeint ist das Mannschaftsspiel, das Zusammenhalten, das Sich-breit-Aufstellen. Armin Laschet hat das vor der Wahl zu seinem Markenkern erhoben; nach der Wahl ist es für ihn zur wichtigsten Aufgabe geworben. Das im Übrigen gilt nicht nur für seine Partei. Sehr bald könnte es auch fürs ganze Land gelten. Wer sich das bewusst macht, sieht schnell, was ihm Merz jetzt angetan hat.
An der Aufgabe ändert das gleichwohl nichts. Es macht sie nur noch schwieriger. Die CDU steht nur in den Umfragen gut da. Schaut man auf die Inhalte und Ziele, dann gibt es bislang nicht viel mehr als Wortgeklingel. Natürlich will auch Laschet die Wirtschaft zum Blühen bringen, aber wie genau? Natürlich will auch er das Klima retten, aber wie exakt? An diesen Fragen, die nach Corona zu zentralen werden, erkennt man schnell, wie sehr der CDU von heute Substanz und Personen fehlen.
Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Manfred Kanther, Norbert Blüm, Rita Süßmuth - für manche mögen das Namen aus längst vergangenen Zeiten sein. Für Armin Laschet aber können sie zum Vorbild werden. Diese Mischung aus sozialen, liberalen und konservativen Köpfen hat die CDU unter Helmut Kohl groß gemacht. Viele haben das vergessen, aber ausgerechnet der Pfälzer war einst als Reformer und Teamspieler auf die Bonner Bühne getreten. Will Laschet erfolgreich sein, muss er das noch einmal hinbekommen.
Und nicht nur das. Seine Aussage, bei ihm könne "jeder groß sein", könnte am Ende dieses Wahljahres weit über die CDU hinausreichen. Wenn Laschet es ernst meint, wird er auch Koalitionen als Gemeinschaftswerk behandeln müssen. Jeder darf groß sein - das hieße nicht mehr kleinster gemeinsamer Nenner. Es hieße: Jeder darf Schwerpunkte setzen. Das wäre ein spannender Ansatz. Und einer, der Laschet Besonderes abverlangen würde: souverän zu sein im Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen. Das ist selten in der Politik. Und beim Blick auf einen Kanzler dürften das viele sogar für unmöglich halten.
Laschet verspricht eine Alternative zu allem, was bislang noch jeder Kanzler irgendwann sein wollte: der Chef, der am hellsten leuchtet. Die einzige Kanzlerin ist darin zwar ein bisschen besser. Aber dass Angela Merkel stets starke Personen neben sich förderte, wäre eine Verklärung.
Die CDU hat sich mit Armin Laschet für ein Experiment entschieden. Das ist in diesem Superwahljahr riskanter und mutiger, als viele denken. Der Digitalparteitag war gemessen daran nur ein Anfang.